Frau Gomringer, Sie haben den Ingeborg-Bachmann-Preis für einen erzählenden

Text erhalten. Eigentlich sind Sie aber

Lyrikerin. Oder nicht?

Doch, unbedingt. Ich nenne mich selber eine. Aber Ingeborg Bachmann, die nicht zuletzt für ihre Gedichte berühmt wurde, hat ja auch viel Prosa geschrieben, den Roman "Malina", berühmte Erzählungen wie "Das dreißigste Jahr", dazu Essays, Briefe ... Sie führte eine dualistische literarische Existenz. Das tue ich auch.

Wie geht das zu, wenn eine bekennende

Lyrikerin Prosa schreibt?

Ganz anders als bei Gedichten, versteht sich. Erzählungen und andere Prosatexte schreibt man mit anderem Augenmerk. Ich selbst arbeite dann an manchen Stellen sorgfältiger, gehe aber über andere recht schnell hinweg. Die müssen später vom Verlag gut nachlektoriert werden. Ich habe dabei das Gefühl, ich müsse den großen Wurf landen - aber die Details holpern. Man muss in großen Zusammenhängen denken; aber das bin ich ja vom Gedicht, der nur scheinbar kleinen Form, her gewöhnt. Auch da komme ich nur voran, wenn ich das große Ganze ins Auge fasse, die Welt, bis ins Universum hinein.

Aber es gibt doch fundamentale

Unterschiede.

Natürlich. Für einen Prosatext, zumal für einen Roman, muss man ein großes Thema finden, groß genug, dass man es aushält, zwei oder drei Jahre damit zu leben. Mit so viel Zeit muss man nicht allein für die Ausarbeitung des Textes, sondern außerdem für Lesereisen rechnen. Das schränkt mich ein. Ich stelle mir vor, dass dann, während ich mich noch mit dem einen Text beschäftige, in mir schon die Idee für etwas Neues entsteht.

Zurück nach Klagenfurt. Wie

kamen Sie zum Wettbewerb?

Man bewirbt sich; oder man wird nominiert. Mich hat die Jurorin Sandra Kegel von der FAZ eingeladen. Ich war sehr überrascht, als sie mir vorschlug, mich dort mit einem geeigneten Text vorzustellen. Ich hatte gar nichts Passendes in der Schublade und hab extra was für Klagenfurt geschrieben.

Ihre preisgekrönte Arbeit heißt

"Recherche". Worum geht's?

Eben darum: um eine Nachforschung. Ein 13-jähriger Junge ist vom Balkon eines Hochhauses gestürzt. Wahrscheinlich war er homosexuell. Wahrscheinlich war's Selbstmord. Eine Autorin, sie heißt Nora Bossong, bemüht sich, die Umstände aufzuklären.

Nora Bossong? Eine Schriftstellerin

dieses Namens gibt es wirklich.

Ja, eine große Autorin. Ich hab sie freilich in eine fiktive Gestalt verwandelt.

Warum?

Ich brauchte als Protagonistin jemanden, der nicht ich bin, aber ähnlich heißt. Tatsächlich werde ich oft mit Nora Bossong verglichen oder gar verwechselt. Kurz bevor Günter Grass starb, erhielt ich einen Brief von ihm: "Liebe Nora, ich gratuliere Dir zu Deinem wunderbaren Artikel in der Zeit." Dabei stammt der gar nicht von mir, sondern von ihr. Umgekehrt kann es passieren, dass ein Bossong-Abend als ein Abend mit mir besprochen wird. Ein bisschen kränkt mich das. Aber vor allem amüsiert es mich.

Darf man denn einfach den Namen

einer lebenden, noch dazu öffentlich

auftretenden Person verwenden?

Nora Bossong passte in mein Schema, weil sie tatsächlich viel recherchiert - so wie ich auch. Natürlich hab ich sie vorher gefragt. Sie war einverstanden: "Das kannst du ruhig machen, so lange ich nicht schlecht dabei wegkomme." Ich antwortete ihr: "Nein, nein. Du stirbst nur."

Wie vereinbaren Sie Ihre schriftstellerische Tätigkeit mit der Arbeit in der Bamberger Villa Concordia? Den Direktorinnenposten dort haben Sie ja als Fulltime-Job

bezeichnet.

Ich versuche, beides, so gut es geht, voneinander zu trennen. Das muss auch sein: Allein bis Jahresende kommen sechs Bücher von mir heraus, darunter ein Bildband über meine Reise mit den Bamberger Symphonikern; oder ein Essayband, "Ich bin doch nicht hier, um Sie zu amüsieren"; oder ein Langgedicht mit Reisebildern, weil mir jemand sagte, dass ich recht schön, wenn auch seltsam fotografiere. Es wäre mir peinlich, wenn ich über all dem den Blick auf meine Bamberger Stipendiaten vernachlässigte.

Und wie vermeiden Sie das?

Bei meiner schriftstellerischen Arbeit steht mir seit zwei Jahren eine Assistentin zur Seite. Außerdem bin ich morgens schon früh, um fünf Uhr, auf, um zu schreiben. Und ich besitze kein Auto, bin also dauernd mit der Bahn unterwegs. Wann immer ich Zug fahre, schreibe ich. Mein Bachmann-Text entstand während einer Fahrt von Leipzig nach Bamberg; dann hab ich ihn zwei Nächte lang ausgearbeitet und schließlich an Sandra Kegel als Hördatei geschickt.

Nach Ihrem Klagenfurter Triumph mit

Prosa: Denken Sie daran, die "Recherche" zum Roman zu erweitern?

Nein. Wenn ich mich wirklich an einen Roman machen sollte, dann nach einem neuen Anlauf. "Recherche" ist rund und ganz und abgeschlossen. Den Text jetzt künstlich aufzublähen, das käme mir geradezu unlauter vor. Das Gespräch führte Michael Thumser