Coburg - Martin Walser, Tankred Dorst, Monika Maron: Sie alle waren schon beim Coburger Literaturkreis zu Gast. Große Namen der Szene stehen auch weiterhin auf seiner To-Invite-List. Aber es müssen nicht immer Bestsellerautoren sein: Um zu erkunden, welche Schreibtalente vor der eigenen Haustüre im Verborgenen keimen, hat der Verein gemeinsam mit der Stadtbücherei ein neues Format ersonnen: "Freistil", ein Forum für den literarischen Nachwuchs jeden Alters. Das Experiment schlug auf Anhieb ein: "Wir könnten diesen Abend vier Mal bestreiten", freut sich Alois Schnitzer, 1. Vorsitzender des Literaturkreises, bei der Premiere am Dienstagabend in der gut besuchten Stadtbücherei.

Leicht gefallen war den Juroren die Auswahl nicht, versichert Büchereileiterin Brigitte Maisch, denn das Niveau der eingereichten Texte konnte sich sehen lassen. So entschieden sich die "Freistil"-Macher für eine möglichst bunte Mischung der Stilarten, von der Lyrik bis zum Roman. Und sie zeigte mit ihrer Wahl von fünf Autorinnen und einem Autor zwischen 16 und 68 Jahren, dass kreative Ambitionen in jedem Lebensstadium gedeihen.

Cornelia Gibson findet erst seit ihrer Pensionierung richtig Zeit und Muße, ihr literarische Neigung zu entfalten und zu entwickeln. Mit bemerkenswerten Resultaten, wie "Das grüne Band" beweist: Inspiriert von einer Frankenwaldexkursion kleidet sie ihre Irritation über den Bedeutungwandel des einstigen Todesstreifens zum Biotop mit Nachdenklichkeit und trockenem Humor in eine geschickt aufgebaute und sprachgewandt erzählte Kurzgeschichte.

Keine Scheu vor der großen Form haben die jüngsten "Freistil"-Teilnehmerinnen: Mit gerade mal 16 bzw. 17 Jahren haben Annika Brondke und Heidi Daouk schon ihr Roman-Debüt veröffentlicht, dessen Vorstellung dank der Unterstützung durch ihre Mitschüler Moriz und Daniel zur köstlichen Performance gerät: "Hallo, ich bin dein Genitiv" stürzt den Leser mit süffisantem Humor kopfüber in die Wirren des Schulalltags und in hormongeflutete Seelen schwerst genervter Pubertierender. Vom Streber-Steffen über den desorientierten Gamer bis zum coolen Studienreferendar, an dem sich die Herzen bester Freundinnen scheiden, reicht das Typen-Panoptikum, das die Autorinnen sehr plastisch und vermutlich auch sehr authentisch vorführen.

Was sie witzig persiflieren, eskaliert bei Annika Grittner zum heiklen Drama: Gefühle, die nicht sein dürfen, entwickeln und verselbstständigen sich zwischen Schülerin und Lehrer in ihrem Roman "Nein, es geht nicht". Eindringlich und mit Gespür für intensive Atmosphäre schildert die 21-jährige Lehramtsstudentin das Ringen zwischen Vernunft und Emotion, die Zerrissenheit zwischen Traum und Alptraum.

Die beklemmende und zugleich zuversichtliche Vision entwirft Melitta Firu in ihrer Kurzgeschichte "Milians Hund": Aus der Sicht eines kleinen Jungen erzählt die Nürnbergerin, die in Coburg Wirtschaftssozialarbeit studiert hat, in dichter, klarer Sprache, wie das Unfassbare greifbar wird, wie der Krieg immer näher kommt, und wie der Bub nicht nur Schutz und Trost in seiner Fantasie sucht, sondern sie gegen das Unheil mobilisiert.

Ans Ende des literarischen Capriccios hat die Regie mit Fug den einzigen Herren im Autorinnen-Team platziert, denn der Kulmbacher Thomas Seubold bürgt für einen heiteren Ausklang. Der Ingenieur, Sozialpädagoge, Alltagspoet und "Velosoph" ist ein gewitzter Lautmaler und Sprachakrobat, der das Wort gern hinterfragt und hintergeht. Er springt munter vom Aphorismus zur konkreten Poesie, treibt dadaesken Nonsens und gefällt sich überhaupt als widerborstiger Schalk, dem nichts heilig ist, schon gar nicht religiöse Rituale.

Am Ende der kurzweiligen Talentbörse gab es Lob und Applaus vom Publikum und einer Kollegin, die den Sprung in den Literaturbetrieb geschafft hat: die Coburger Autorin Sabine Friedrich, die nicht erst mit ihrem Monumentalroman über den Widerstand gegen Hitler ("Wer wir sind") überregionale Resonanz erfuhr, gab als Schirmherrin der Veranstaltung den Newcomern Tipps für die Verlagssuche und warnte vor unseriösen Anbietern. Zufrieden mit ihren ersten Erfahrungen mit dem "Book on Demand"-System zeigten sich die Jungautorinnen Annika und Heidi. Den Nachteil des für Kleinstauflagen gern genutzten Service, der weder Lektorat noch grafische Gestaltung bietet, nehmen sie in Kauf: "Man muss alles selbst machen."