Als studierter Linguist weiß er, wie das Deutsche wurde, was es ist; da kann er imponierend viel erzählen. Gut geht Scholtens „Denksport Deutsch“ zunächst auch weiter, und auf manchen Wegen sogar fast bis zum Schluss: Da rasiert er dem idiotischen „Das macht Sinn“ den Sinn ab. Oder der Autor gibt gute Gründe dafür an, mit den sperrigen Doppelapostrophierungen à la „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ zu brechen. Politisch zwar korrekt, aber stets gezwungen sehen sie aus und sind obendrein Unsinn. „Geschäftsführer ist so männlich wie Büstenhalter“ – will sagen: überhaupt nicht „männlich“, sondern geschlechtsneutral.

Weniger gern lässt man sich Scholtens Grundthese gefallen. Fast wie ein Neurologe tritt er auf, wenn er im „Sprachzentrum“ des Gehirns eine Ursprache aufstöbert, die instinktiv alles richtig macht und die „ein Muttersprachler von Natur“ aus kennt. Als korrekt darf folglich gelten, was dem denkenden Sprechenden richtig erscheint. Eherne Gesetze, wie sie Oberlehrer, Wörterbücher und sonstigen Zensoren aus elitärer Eitelkeit erlassen, lehnt der Verfasser, zunehmend vorlaut polemisierend, ab, und weite Teile des Dudens gleich mit.

Dann aber stellt er seinerseits drakonische Sprachregeln auf. So verdammt er den Genitiv und bricht über den Konjunktiv der indirekten Rede gnadenlos den Stab. Auch von der feinen, doch grundlegend sinnunterscheidenden Dialektik zwischen scheinbar und anscheinend will er nichts wissen. Alles Eingebungen des „ungesunden Menschenverstands“, der anscheinend nicht das „Schnöseldeutsch“ eines scheinbar verfeinerten Stils durchschauen kann. Widersprüchlich unklar bleibt das Verhältnis des Sprachhistorikers Scholten zum Sprachwandel in Vergangenheit und Zukunft. Und manche Metapher missrät ihm kurios: „Eine Vermischung beider Sprachen auf Augenhöhe war unmöglich.“ Wenn er selber fragt: „Wie klingt gutes Deutsch?“, darf man entgegnen: So nicht. Halb kluger Ratgeber, halb Rattenfänger, empfiehlt er seinen Lesern: „Schreiben Sie, wie Sie sprechen.“ Hier sei dies höflich verneint: Tun Sie’s, bitte, nicht.

Was macht man mit Literatur? Dumme Frage. Lesen natürlich. Wenn also ein Autor sein Buch „Literatur lesen“ betitelt – ist dann nur mit Selbstverständlichkeiten zu rechnen? Das wird Terry Eagleton niemand vorwerfen. In fünf ausführlichen und wendungsreichen Kapiteln kommt der angesehene britische Literaturwissenschaftler auf „Eröffnungssätze“ und „Figuren“ zu sprechen, auf „Erzählweisen“, „Interpretationen“ und „Werturteile“ über Geschriebenes. Zwar bietet dafür auch die deutsche Übersetzung – durch Holger Hanowell – meistenteils Beispiele aus der englischsprachigen Literatur auf. Dem Erkenntnisgewinn hierzulande tut dies aber kaum Abbruch. Denn schwerer wiegt, dass der Autor in allen Epochen vor und seit Shakespeare Station macht, auch auf allen Stilebenen, also bei Dantes „Göttlicher Komödie“ ebenso wie bei der Detektivgeschichte oder in Joanne K. Rowlings „Harry Potter“-Kosmos. Und keine Gattung lässt er aus, das Gedicht und das Drama so wenig wie die Prosa. Schon dadurch unterscheidet sich Eagletons „Einladung“ zum langsamen, textkritischen Lesen von älteren Anleitungen, etwa von „Wie man ein Buch liest“ des Duos Adler-van Doren oder Ulrich Greiners „Leseverführer“. So einer, gleichwohl, will sein Buch auch sein: Denn die sachkundige Analyse von Literatur ist keineswegs der „Feind“ des Genusses an ihr. Ein wenig Erfahrung vorausgesetzt, fallen beide in eins.
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? Daniel Scholten: Denksport Deutsch. dtv Premium, 432 Seiten, Paperpack, 17,90 Euro.
? Terry Eagleton: Literatur lesen. Reclam-Verlag, 268 Seiten, Taschenbuch, 24,95 Euro.