Gern bewegt sich Harald Gröhler zwischen den literarischen Gattungen. Und zwischen den Epochen. Erzählen? Oder dokumentieren? Vor Jahren brachte der Schriftsteller – der 1938 im niederschlesischen Hirschberg geboren wurde, in Schönwald aufwuchs und am Hofer Jean-Paul-Gymnasium das Abitur machte – ein Buch heraus, das beides zugleich unternahm. Blätterte man es von hinten an, so stieß man dort auf ein Literaturverzeichnis nebst Anmerkungsapparat; da lag die Vermutung nah, dass es sich bei „Störtebeker“ um eine nach den Regeln der Historikerzunft erarbeitete Biografie des prominenten „Volkshelden und Piraten“ handelte. Wer indes in der Mitte hineinlas, stieß auf erfundene Beschreibungen und reichlich Dialog. Also doch: ein Roman?

Die Frage stellt sich erneut. „Inside Intelligence“: Nun machte sich Gröhler daran, den „BND und das Netz der großen westlichen Geheimdienste“ zu entwirren. Ein doppelt neuzeitliches Unterfangen: Nicht nur, dass sich der in Berlin lebende Autor dafür aus dem Spätmittelalter in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts verfügte; auch in die unmittelbare Gegenwart passt das Buch, feierte doch der Bundesnachrichtendienst am 1. April seinen 60. Geburtstag. Oder genauer: Er feiert ihn nicht.

Was nun: Roman oder Report? Das fällt, glaubt man dem Autor, nicht ins Gewicht. „Entscheiden ist“, schreibt er, „dass das Buch auf Tatsachen basiert“ – wie sein „Störtebeker“. Als Quelle konnte er Uschi Mauve anzapfen, die fünfzehn Jahre lang persönlich Zugang zu Reinhard Gehlen hatte, als Generalmajor Karriere-Offizier in Adolf Hitlers Wehrmacht und Dunstkreis, Leiter der militärischen Feindaufklärung „Fremde Heere Ost“; der gründete 1956 den Geheimdienst, mit „Lügen und fiesen Tricks“, wie Die Welt kürzlich dazu bemerkte, und leitete ihn als Erster durch eine Hochphase der Ost-West-Konfrontation und des Kalten Kriegs. 2006 publizierte Harald Gröhler schon einmal einen „Bericht“ über ihn.

„Dutzende Gespräche“ führte er mit Mauve über Gehlen; und traf „den dubiosen, schillernden Mann“ sogar mehrfach persönlich, „unter geheimsten Vorkehrungen“, desgleichen dessen DDR-Gegenspieler Markus „Mischa“ Wolf. „Die Daten und der Text weisen somit eine konkret-persönliche, authentische Seite auf, wie sie sonst inzwischen gar nicht mehr zu haben sind.“ So nah wie er, versichert Gröhler, sei kein anderer Autor „an die zentrale Person Gehlen herangekommen“. Ein „Volkshelden“-Epos hatte er indes nicht im Sinn: „Gehlen wird in diesem Buch nicht gehätschelt. Er wird vor allem spöttisch behandelt.“

Auch fast 37 Jahre nach Gehlens Tod hat der BND „etwas Geheimnisvolles, ja manchmal Unheimliches“. In die USA führen die zwölf Kapitel des Buchs, nach Pullach natürlich und Berlin, in den Mittleren Osten und sogar ins Fichtelgebirge. Osama bin Laden taucht auf, Edward Snowden, Angela Merkel. Irgendwo im Buch antwortet einer dem anderen verständnislos: „Hä?“ Das klingt nicht sehr nach geschliffener Erzählprosa. Den Schluss bilden ein Literatur- und ein Personenverzeichnis von Adenauer bis Zaisser. Das wiederum sieht nach einem sorgsam recherchierten Sachbuch aus.

Vielleicht sollte Peter Altmaier das Buch mal durchblättern; äußert der Kanzleramtschef doch gerade dieser Tage mal wieder die Absicht, den BND zu reformieren: Unter eine strengere Kontrolle durch den Bundestag möchte er ihn stellen und die Bürger der EU besser vor Abhör- und Spähattacken schützen. „Ich will diese Reform nach wie vor“, bekräftigte er am Dienstag, „und ich bin sicher, dass wir sie bis Jahresende hinkriegen.“ Gröhlers Buch liest er an zwei Abenden durch: Die Zeit hat er noch.

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Harald Gröhler: Inside Intelligence. Verlag Neuer Weg, 339 Seiten, Paperback, 18 Euro.