Was hätte wohl Rentner Dombrowski gedacht, wäre er Gast bei der Uraufführung des Schauspiels „Elisabeth – Der Freikauf“ gewesen? Mit dem Auftragswerk des renommierten Schweizer Schriftstellers Herbert Meier (79) wurde die Meininger Theatersaison eröffnet, die, könnte man sagen, unter der Schirmherrschaft der heiligen Elisabeth von Thüringen (1207 – 1231) steht.

Die Frage, was Deutschlands bissigster Kabarettist Georg Schramm und seine Figuren mit der von Ansgar Haag inszenierten Geschichte zu tun haben, liegt so fern nicht: Ein paar Tage vor der heiligen Elisabeth bevölkerten sie die Meininger Theaterbühne und widmeten sich mit Inbrunst dem Thema, mit dem sich auch Meiers Stück beschäftigt. Zum einen mit möglichen Motiven, die hinter karitativem Engagement wohlhabender Ehegattinnen zu finden sind. Zum anderen mit der Frage, die Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren formulierte: Gibt es Wege des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit?

Schramm und seine Spießgesellen griffen sich angesichts der von ihnen vermuteten Verblödung der Gesellschaft vehement an die Stirn: Vorsicht bei barmherzigem Gebaren! Ein Herz für notleidende Kinder vor dem Infostand des Unternehmerverbandes am Marktplatz und dahinter der Kühlschrank mit dem Champagner für die noblen Wohltäter. Um ein grundsätzliches Dilemma von Mitgefühl und Barmherzigkeit, nämlich Gewissensberuhigung, auf die Spitze zu treiben, brauchte der Kabarettist ein paar Minuten. Der Schlag gegen das selbstgerecht waltende Bürgertum saß.

Herbert Meier und Ansgar Haag brauchen dazu zweieinhalb Stunden. Und es darf behauptet werden: Keine der im Publikum anwesenden saturierten Gattinnen wird sich durch die zweifelsohne hehren Botschaften in ihren Grundfesten erschüttert fühlen. Kaum anzunehmen, dass sich die Witwe eines südthüringischen Pharmabosses von der Firma freikauft und demnächst in der Provence (!) einen antiautoritären Kindergarten gründet, um mit den Schutzbefohlenen in Armut zu leben (so oder ähnlich sieht Herbert Meier die Lösung des Dilemmas).

Es stehen einem nicht selten die Haare zu Berge, wenn man die geschraubten Erkenntnissätze vernimmt, die Meier seinen Protagonisten in bester Absicht in den Mund legt. Einige Texte klingen wie Beiträge aus einem soziologischem Proseminar aus den 70ern oder aus der Vollversammlung der Basisgruppe Pädagogik, andere wie Bekundungen von Teilnehmern eines Selbsterfahrungskurses. Bis auf wenige belebte und belustigende Szenen (die sinnigerweise ohne große Worte auskommen) wirkt das ganze Geschehen so wie es wahrscheinlich entstand: konstruiert aus guten Absichten und im lobenswerten Auftrag. Fern der Realität tagtäglicher Kommunikation und komplizierter psychologischer Prozesse.

Die unheile Welt Meiers ist schön gegliedert in Menschen, die ihre humanistischen Ideale verraten haben, solche die dazu stehen, aber auf verschiedene Weise scheiterten und solche, denen jeder barmherzige Gedankengang renditefeindlich scheint. Dazwischen noch ein paar Ahnungslose und ein paar Schönschwätzer, die zu allem etwas zu sagen haben, obwohl sie paradoxerweise vom Glauben erfüllt sind, dass der Redende nichts weiß, der Wissende hingegen nicht redet. Ja, einige Charaktere sind gut gezeichnet – auf dem Papier -, wirken aber auf der Bühne wie proklamierende Humunkuli, bar jeder Chance, ein wirkliches Leben zu führen. Das erinnert manchmal an die unsäglich hölzerne Hochhuth-Inszenierung von „Wessis in Weimar“ am Meininger Theater.

Die Schauspieler trifft dabei keine Verantwortung. Sie spielen wie Besessene gegen die Künstlichkeit ihrer Figuren an, erwecken sie manchmal tatsächlich zum Leben, um sie gleich darauf wieder zu verlieren. Evelyn Fuchs, zum Beispiel, als Anouk, die junge Gattin eines Pharmabosses, Hans-Joachim Rodewald als ihr Mann, Walter von Have als Psychiater, Helge Lang als Philosoph, Eva Kammigan und Peer Roggendorf als ausgeflipptes Punkpärchen.

Meiers Grundidee ist gut: Das Leben der heiligen Elisabeth sinngemäß in die Gegenwart zu übertragen, es in die Seele einer jungen Frau zu pflanzen und daraus eine Parabel über die Möglichkeiten des Ausbruchs aus selbst verschuldeter Unmündigkeit zu gestalten. In einer Villa mit dem Charme einer Aussegnungshalle (Bühne: Helge Ullmann, Kostüme: Annette Mey), wird eben der 25. Geburtstag der jungen Unternehmersgattin Anouk gefeiert, als zwei eigenartige Gäste auftauchen.

Der eine Gast ist die zeitlose Gestalt der Elisabeth (Dagmar Geppert), die sich Anouk als Freundin nähert. Der andere (ungebetene) Gast ist der Obdachlose Pimm (Reinhard Bock), der den Hausherrn, seinen früheren geistigen Weggefährten, wüst beschimpft. Elisabeth promeniert wie ihre eigene Legende durch die Szene (soll sie wahrscheinlich auch), statt das Leben mit Leben zu füllen. Das Unheil nimmt seinen Lauf und gebiert das Heil der jungen Heldin, die man, am Ende, umgeben von einer fröhlichen Kinderschar in der Provence sieht. Da kommen einem die Tränen. Leider sind es keine des Mitgefühls. Schade. Thema verschenkt. Und wir hoffen weiter auf eine Elisabeth, die ihren Heiligenschein an den Nagel hängt und die Ärmel hochkrempelt. Selbst als Legende.

Nächste Vorstellungen: 22. und 26. September, 11. Oktober, jeweils 19.30 Uhr. Karten über Telefon 03693-451 222 oder 451 137. www.das-meininger-theater.de