Coburg - "Sich im absoluten Genuss verlieren, einmal alles genießen, Ekstase, und dann ... Sterben in maßlosem Genuss. - Peng!"

Sie sind jung, sie sind hungrig, sie suchen den Kick. Zwischen Lebensgier und Weltekel, Euphorie und Depression, Arroganz und Naivität spielen sie mit dem Feuer - bis aus dem koketten Spiel tragischer Ernst wird. Die jungen Wilden aus diesem Stück passen gut in unsere Zeit - mal abgesehen davon, dass sie Hans, Hilde, Günter und Paul heißen, ihre Sinne mit Absinth statt mit Crystal Meth pushen und ihre poetischen Postings an die Nachwelt auf Schiefertafeln kritzeln.

Sie leben und lieben und leiden lustvoll im Berlin der 1920er-Jahre, und sie fühlen wie 19-Jährige schon zu Werthers Zeiten gefühlt haben und es heute noch tun: "Sie wollen keine alten Säcke werden!", bringt es Johannes Zametzer auf den Punkt. Mit seinen 61 Jahren zählt der Regisseur noch immer nicht zur besagten Spezies, er hat sich bewahrt, was die Jugend für ihr Privileg hält: Leidenschaft, Lebendigkeit, Energie, Fantasie.

Der gebürtige Franke ist ein "Theatertier", er war Hausregisseur am Erlanger Theater in der Garage, Schauspieler in George Taboris Wiener Kreis, er leitete das Volkstheater Nürnberg-Fürth und inszeniert seit 25 Jahren in Salzburg und Luxemburg, Bochum und Hamburg. Coburgs Theaterfans dürfen nach seinen "Sunny Boys" und "Warten auf Godot" nun auf die erste Zametzer-Arbeit im Großen Haus gespannt sein, die am 23. Januar Premiere erlebt.

Eine Uraufführung ist's, doch nicht die ursprünglich geplante: Da Tankred Dorsts Stück "Die Motivsuche", mit dessen Premiere eigentlich die Festwoche zum 90. Geburtstag des im Sonneberg geborenen Dramatikers eröffnet werden sollte, noch nicht vorliegt, wurde kurzerhand ein für die nächste Spielzeit geplantes Projekt vorgezogen: "Was nützt die Liebe in Gedanken" von Arno Meyer zu Küingdorf.

Ein Stück in enger Abstimmung mit dem Autor aus der Taufe zu heben, ist für Johannes Zametzer durchaus nichts Ungewöhnliches. Unter anderem entwickelte er Uraufführungen mit Alfred Ostermeier ("Schwarze Sonne scheine"): "Work in progress ist angenehm und spannend", meint der Regisseur.

Das Stück, dem er in Coburg ans Scheinwerferlicht der Welt verhilft, beruht auf Tatsachen und ist doch kein Dokumentartheater: Es beruht auf der sogenannten "Steglitzer Schülertragödie", die 1927 zwei junge Männer das Leben kostete. Arno Meyer zu Küingdorf ließ sich von dem spektakulären Kriminalfall zu dem Roman "Der Selbstmörder-Klub" inspirieren, den er nun als Auftragsarbeit für das Landestheater dramatisiert hat.

Erzählt wird in 18 Szenen die Geschichte einer Clique, die sich in der flirrenden Atmosphäre des Berlin der späten 20er-Jahre einer rauschhaften Suche nach Amüsement und Erfüllung hingibt, und sich Zwängen und Konventionen zu entziehen trachtet. Die beiden Freunde Günter und Paul schließen in ihrem romantischen Übermut eine Verabredung: Vor dem Absturz in die Gewöhnlichkeit wollen sie in einem Akt der Selbstbestimmung freiwillig aus dem Leben scheiden: "Diese verlogene Welt kann nicht mehr unsere Welt sein. "Lass uns aufbrechen. In ein besseres Leben."

Weniger den Kriminalfall selbst rücken Autor und Regisseur ins Blickfeld, als vielmehr das Lebensgefühl, die Lebenswelt der jungen Akteure, die bei den Erwachsenen auf völliges Unverständnis stößt. Nicht den Casus, sondern die "erlebte Geschichte" interessiert den Theatermacher Zametzer, das Oszillieren zwischen "himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt" lässt er seine Schauspieler "haptisch, sinnlich, körperlich" ausloten, "sie müssen die Hoffnung spielen, nicht den Verlust".

Die Epoche wird in Udo Herbsters Bühnenbild und Kostümen ("sie lehnen sich an die 20er-Jahre an") sichtbar, doch weist das Stück über die konkrete Zeit hinaus, "es zieht sich bis ins Heute", so Zametzer mit Blick auf Selbstmordforen im Internet, auf denen sich zumeist junge Menschen aus ähnlichen Motiven austauschen wie die Stück-Protagonisten Günter und Paul. Für die jungen Schauspieler sind die Befindlichkeiten der Figuren und ihre Neigung "echt krass zu übertreiben", denn auch gut nachempfindbar, meint Eva Marianne Berger.

Nicht zuletzt dadurch gewinnt das Stück eine Dimension, die man ob des Stoffes zunächst nicht vermutet: "Das ist auch sehr komisch übrigens. Das ist keine Tragödie, was Sie da sehen!", versichert Johannes Zametzer.

Das ist auch sehr komisch übrigens. Das ist keine Tragödie!

Regisseur Johannes Zametzer


Die Produktion

"Was nützt die Liebe in Gedanken",

Schauspiel von Arno Meyer zu Küingdorf (Uraufführung)

Premiere: Samstag, 23. Januar, 19.30 Uhr, Großes Haus

Inszenierung: Johannes Zametzer

Bühnenbild und Kostüme: Udo Herbster

Mit Oliver Baesler, Benjamin Hübner, Sarah Zaharanski, Eva Marianne Berger, Ingo Paulick, Nils Liebscher, Kerstin Hänel, Stephan Mertl

Weitere Vorstellungen: 28. Januar, 5., 10., 12., 17. Februar, 8., 10. März


Das Stück

Im Jahr 1999 veröffentlichte Arno Meyer von Küingdorf im Leipziger Reclam-Verlag seinen Roman "Der Selbstmörder-Klub", der auf dem Fall der "Steglitzer Schülertragödie" des Jahres 1927 beruht. Unter dem Titel "Was nützt die Liebe in Gedanken" wurde er 2004 begleitend zu dem gleichnamigen Spielfilm mit Daniel Brühl vom Aufbau-Taschenbuchverlag neu aufgelegt. Im Auftrag des Coburger Landestheaters hat der Berliner Autor den Stoff nun für die Bühne bearbeitet.