Coburg - Der Autor ist ganz überrascht: "Gestern habe ich in Stuttgart in einer großen Buchhandlung gelesen. Da kamen fünfzig Leute!" An diesem Abend, den die Buchhandlung Riemann im Erdgeschoss des ehemaligen Modehauses Matzer & Worsch ausrichtet, sitzen über einhundertachtzig Hohlbein-Fans auf den Stühlen. Da, wo noch vor nicht allzu langer Zeit Taschen und Schals auf Käuferinnen warteten, stapeln sich dicke Bände, deren Einbandgestaltung mit düsterem Gewölk über unheimlicher Fassade allein schon nichts allzu Fröhliches erwarten lässt.

Wolfgang Hohlbein, deutscher Erfolgs-Schriftsteller im Horror-, Science-Fiction- und Fantasygenre (43 Millionen verkaufte Bücher), liest zum ersten Mal in Coburg. Sein neues Buch "Mörderhotel" ist der erste Thriller des 1953 in Weimar geborenen und in Neuss lebenden Autors.

"Mörderhotel" ist kein Buch für schwache Nerven. Hohlbein erzählt darin die Geschichte eines amerikanischen Serienmörders, dessen Name Herman Webster Mudgett im Gegensatz zu anderen Größen im Serienkiller-Metier heute weitestgehend vergessen scheint. Auf das Konto Mudgetts gehen 27 bewiesene Morde, begangen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zum Großteil in einem von ihm in Chicago erbauten Hotel, welches neben Gästezimmern auch über Falltüren, Geheimgänge, Folterkeller und Säurebäder verfügte. Vermutet werden jedoch über 230 Leichen, die der studierte Mediziner auf dem Gewissen haben soll.

"Diese Geschichte ist mehr oder weniger wirklich so passiert", erklärt Hohlbein zu Beginn seiner Lesung auf dem mit "Tatort"-Absperrband und silbernem Kerzenleuchter dekorierten Podest. Vor drei Jahren sei er durch eine BBC-Dokumentation auf das unglaubliche Vorgehen Mudgetts gestoßen. Seine erste Reaktion: "Das haben die sich ausgedacht, so etwas kann nicht wirklich passieren." Recherchen ergeben aber: es stimmt. Das Hotel, zur Weltausstellung in Chicago 1893 fertiggestellt, gab es wirklich. Einschließlich Foltertisch und Gaskammer.

Was Hohlbein erstaunte war, dass es bislang noch niemand gegeben hat, der den makabren Stoff in Literatur verwandelt hat, weder im Deutschen noch im Englischen. Auch sein Verleger ("Das kann man doch niemandem erzählen!") habe erst überzeugt werden müssen.

Wolfgang Holbein "füttert" seine Coburger Zuhörer mit den ersten Kapiteln des Thrillers an - abgelesen vom E-Reader, den er aus einer blauen Retro-Umhängetasche zieht. Er beschreibt die Ankunft der jungen Protagonistin Arlis Christen in Chicago, die sich mit einem Privatdetektiv auf die Suche nach ihrer vermissten Schwester Endres macht. Diese soll mit einem gewissen Mr. Mudgett liiert gewesen sein und in dessen Hotel, geleitet von Henry Howard Holmes, gewohnt haben.

Mit der Jagd zweier brutaler Halbstarker auf einen Fünfjährigen namens Herman Webster Mudgett - der Autor spricht den Namen wie einen deutschen "Hermann" aus - erleben die Zuhörer, wie Mudgett bereits im Kindergartenalter trotz Angst vor Prügeln vom Bösen fasziniert ist. Richtig blutig wird es erst nach der Pause, als Hohlbein zum ersten Kapitel seines Thrillers springt. Abgehackte Finger, ein blutgetränkter Hackklotz, ein Fleischerbeil, ein kreischendes Opfer - nach dem Szenario mit dem smarten Mudgett, seinem grobschlächtigen Helfer Peitzel und dem entsetzten Opfer entscheidet der Leser spätestens auf Seite 15: weiterlesen oder weglegen. Wie sagt es der Autor doch so treffend im ersten Satz? "Am Ende ist es doch auch nur Fleisch."

Nach den Passagen aus "Mörderhotel" unterhält sich Wolfgang Hohlbein mit seinen Fans. Bei den Beschreibungen der Gräuel in Mudgetts "Mörderhotel" habe er in Sachen Gewaltdarstellung eher noch "runtergefahren", sagt er. Die Wirklichkeit sei wohl schlimmer gewesen. Anspruch auf historische Präzision habe er - wie auch schon bei anderen historischen Stoffen - jedoch nicht. "Die Wahrheit muss sich der Geschichte beugen", so Wolfgang Hohlbein, viel wichtiger sei ihm, dass die Stimmung passt.

Die Atmosphäre in dem ehemaligen Modehaus finde er durchaus passend. "Vor allem die Gestalt mit dem Beil, die gerade da hinten die Treppe hochgegangen ist", witzelt er. Nach Betrachtungen über Serienmörder im Allgemeinen und im Besonderen wollen die Fans wissen, was der Vielschreiber und bekennende Workaholic als Nächstes veröffentlichen wird. Noch ein Krimi? "Ich habe mich in die Zeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts verliebt", so Hohlbein, "die ist unglaublich spannend, weil innerhalb kurzer Zeit so vieles passiert. Ob das noch mal ein Krimi wird, weiß ich nicht."

Die Wahrheit muss sich der Geschichte beugen.

Wolfgang Hohlbein