1963, in dem Jahr, als Lee Harvey Oswald in Dallas John F. Kennedy erschoss, kam in den USA ein Roman über eine todbringende „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ heraus: Spezialisten übernehmen die Exekution von Zeitgenossen, sofern die den Tod verdient haben. Kunde kann jeder werden, sofern er die horrenden Preise zu zahlen bereit ist. Für eine halbe Millionen erlegen die mit allen Wassern gewaschenen, wissenschaftlich gebildeten Profis auch den englischen König, wenn’s gewünscht wird. Erfolg garantiert, sonst Geld zurück.

Zwischen Genie und Wahnsinn trieb Jack London 1910 ein intellektuelles Experiment auf die Spitze: Mit „The Assassination Bureau, Ltd.“ versuchte er sich an einem für ihn untypischen Stoff. Er hatte ihn sich auch nicht allein ausgedacht: Vom Kollegen Sinclair Lewis übernahm er den Plot, wie Freddy Langer jetzt im Nachwort der deutschen Neuausgabe berichtet. Rechtzeitig zum 100. Todestag des zeitlosen Abenteuerschriftstellers am 22. November legt der Zürcher Manesse-Verlag Londons Killer-Thriller in der Übersetzung von Eike Schönfeld vor – „Mord auf Bestellung“.

Auch den Schluss von fremder Hand enthält die Ausgabe; zudem Notizen des Autors und seiner Frau, das Ende betreffend: Sie belegen, dass sich der Krimiautor Robert L. Fish, das Fragment Londons vervollständigend, nur wenig an dessen Ursprungsabsichten hielt. Gleichwohl erreicht die flott geschriebene, trickreich komponierte Geschichte durch ihn ein adäquates, sogar spannendes Ende.

Ihre Oberfläche ist Kolportage. Darunter aber spielt London den Grundkonflikt konsequent bis zum Irrwitz durch. Zwei brillant begabte Gegner bietet er auf, die sich beide für Moralisten reinsten Wassers halten. Der Mordagentur steht Iwan Dragomiloff vor, der jeden Auftrag unwiderruflich akzeptiert, sofern sich der Delinquent zweifelsfrei als unverbesserlicher Gesellschaftsschädling erwiesen hat. Denn er will einer „höheren Rasse“ auf den „Gipfel der Evolution“ und zur Zukunft auf Erden verhelfen. Doch er hat nicht mit der Finte Winter Halls gerechnet; der vereint ein Millionenvermögen, eine sozialistische Überzeugung und akademische Spitzfindigkeit in sich. In einem wortreich-gedankenstarken „Kampf zweier Gelehrter“ weist er nach, dass Dragomiloff seinerseits des Todes würdig ist; folgerichtig beauftragt Hall ihn, sich selbst hinzurichten.

Glaubwürdigkeit verfängt als Kriterium in diesem Fall nicht. Trotzdem hat, worüber und wie diskutiert wird, Hand und Fuß und geht als philosophisches wie als satirisches Feuerwerk durch: „Hall musste diese hochgelehrten Irren einfach mögen, die aus Ethik einen Fetisch gemacht hatten und ihre Mitmenschen mit derselben Kühle und Zielstrebigkeit umbrachten, mit der sie mathematische Probleme lösten oder Übersetzungen von Hieroglyphen anfertigten.“

Die „Liebe zum Denken“ triumphiert über „die Liebe zum Leben“, zum eigenen wie zum Leben des Nächsten: Unverfroren führte London eben jenen Individualismus und Intellektualismus über die Grenze der Humanität hinaus, dem er selbst huldigte. Im Duell der selbst ernannten Sittenprediger erringt keiner den Sieg: Auch Winter Hall ist, auf seine Art, „ethisch wahnsinnig“ wie Dragomiloff. Auch er entlarvt die Lehre, wonach „die Welt auf Moral gründet“, als Lüge, indem er hilft, sie in ihr Gegenteil zu verkehren.
-------------
Jack London: Mord auf Bestellung. Manesse-Verlag, 224 Seiten, gebunden 24,95 Euro.