Für Schriftsteller mag diese Formulierung ein Graus sein, aber das Buch ist nun einmal des Deutschen liebstes Schlafmittel. Gelesen wird abends im Bett, bis die Augen zufallen und das Buch auf die Decke sinkt. Während es bei Normalsterblichen nicht ungewöhnlich ist, dass sich die Roman-Handlung im Traum weiterspinnt und sich am nächsten Morgen nicht mehr so recht zwischen des Autors Vorlage und dem Schabernack des Unterbewusstseins unterscheiden lässt, entwickelt bei einer seltenen Spezies von Künstlern das Schriftbild ein Eigenleben. Als gestandener Typograph erinnert sich der Coburger Oliver Hess am Frühstückstisch nicht an Abenteuer, die zum Beispiel Oskar Matzerath in Günter Grass‘ „Die Blechtrommel“ gar nicht erlebt hat, sondern an ein Gesicht, das aus Buchstaben besteht. Bei genauer Betrachtung handelt es sich um das Portrait des Danziger Zwerges, geformt aus einem O, einem S, einem K und den anderen Buchstaben seines Vor- und Nachnamens.

Oskar Matzerath ist eine von sieben Figuren der Weltliteratur, deren typographisches Eigenleben den Verleger Heinz Wohlers aus Harrlach bei Nürnberg so begeistert hat, dass er den Coburger Kunstförderpreisträger von 2005 jüngst in die Stamm-Mannschaft seines exquisiten, auf ausgefallene Bücher und Objekte spezialisierten Labels aufgenommen hat. Die auf je 100 Exemplare limitierte Serie „Frühstück literarischer Typen“ wird von Oliver Hess von Hand gefertigt.

Am Anfang steht die Wahl einer Schriftart und das Arrangement der vorgegebenen Buchstaben zu einem Portrait. Die so entstandene Vorlage wird auf ein handelsübliches Brotzeitbrettchen gedruckt, das vorher mittels Messer und Gabel mit der Patina echter Gebrauchsspuren veredelt wurde. Ein Namens-Schildchen verstreut die letzten Zweifel, ob man bei dem kargen Gesicht mit Pfeife und Schildmütze bei Sherlock Holmes richtig liegt und verhindert zugleich, das Kunstwerk mit einem Essgeschirr zu verwechseln.

Nach der „Blechtrommel“ und Sir Arthur Conan Doyles Detektivgeschichten, sind Oliver Hess die Augen bei „Moby Dick“, Heinrich Bölls „Katharina Blum“, Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ und „Madame Bovary“ zugefallen. Weitere Motive sollen folgen, sobald der Künstler, der nebenbei sein „Literarisches Fundbüro“ für Buchstaben am Rande der Lesbarkeit betreibt, wieder die Muse hat, abends zum Buch zu greifen.

Aktuell drängt Heinz Wohlers auf die Fortführung einer zweiten typographischen Serie, der „Weltliteratur mit Format“. Wie bereits mit Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ geschehen, arrangiert Oliver Hess hier den Volltext literarischer Klassiker zu einer typographischen Tapete im Posterformat 60 cm x 80 cm. In manchen Fällen ist es eben viel schöner, ein Buch nicht zu lesen, sondern sich einfach nur anzusehen. Alle von Heinz Wohlers verlegten Arbeiten von Oliver Hess sind den Herbst über in der Buchhandlung Riemann ausgestellt.

Oliver Hess: Frühstück literarischer Typen. Sieben typographische Inszenierung auf Holzbrettchen. Je 24,90 .

Oliver Hess/Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts. Der gesamte Text im Format 60 cm x 80cm. ISBN 978-3-937260-17-4, 12,90 .