Coburg - - Also gleich zur Erklärung: Roman-Marathon heißt nicht, dass man mit Büchern in der Hand durch den Hofgarten rennt. Roman-Marathon heißt Auftakt für die Literaturtage "Coburg liest", und diese lesesportliche Veranstaltung lockte so viele Bücherfreunde in die Reithalle am Schlossplatz, dass der Platz kaum ausreichte und noch eifrig Zusatzstühle herangeschleppt werden mussten.

Ein hochkarätiges Literaten-Trio konnte man am Samstagabend kennen lernen. Für die erkrankte Daniela Krien war kurzfristig Mathias Gatza eingesprungen, doch "Studio-Bühne frei!" hieß es zunächst für Olga Grjasnowa. Mit ihrem vor wenigen Wochen erschienenen Debüt-Roman "Der Russe ist einer, der Birken liebt" sorgte die junge Autorin in den Feuilletons für viel Aufsehen. Ihre Protagonistin ist Mascha, eine junge Frau, die einst mit ihren Eltern aus Aserbeidschan nach Deutschland kam. Nun bereitet sie sich auf ihr Dolmetscherdiplom vor, lebt mit ihrem Freund Elias zusammen. Eine Verletzung beim Fußballspielen endet tragisch: Elias stirbt. Diese eindringlichen Kapitel las Olga Grjasnowa in der Reithalle. Analytisch und nüchtern ist ihre Sprache, immer ein wenig atemlos - so wie die Autorin, die somit nicht nur aufgrund eines schlecht eingestellten Mikrofons wirklich schwer zu verstehen war.

Olga Grjasnowa skizziert den Alltag einer globalisierten jungen Generation: Mascha und ihre Freunde Cem (ein Deutscher, den es nervt, ständig gefragt zu werden, wo er herkommt) und Sami (ein Deutscher, der aus dem Libanon stammt, in Frankreich aufgewachsen ist, in Deutschland lebt und in den USA promoviert) verkörpern die Selbstverständlichkeit eines multiethnischen Lebensgefühls.

In gänzlich andere Gefilde entführte anschließend Mathias Gatza, der seinen Barock-Roman "Der Augentäuscher" vorstellte. Wie bei seiner Vor-Leserin war es auch hier allerdings für das Publikum ziemlich schwierig, akustisch zu folgen, doch machten die Ausschnitte aus dem "Augentäuscher" Appetit, weiter zu lesen. Schauplatz ist das Dresden August des Starken. Gatzas Hauptfigur ist der (fiktive) Maler Silvius Schwarz, der mit seinen Stillleben die Menschen begeistert, die im "Augenzeitalter" schier süchtig nach diesen visuellen Täuschungen sind. Gatza verwebt meisterlich nicht nur Fiktion und Realität (er recherchierte zwei Jahre den historischen Hintergrund seines Romans), sondern bringt auch unterschiedliche Handlungsebenen ein: Der Ich-Erzähler ist ein "Herausgeber" in der Gegenwart, der sich wissenschaftlich mit Silvius beschäftigt, und die Leser immer tiefer eindringen lässt in die üppige Barock-Welt des sinnlich-schönen Dresden.

"Die Herrlichkeit des Lebens" erwartete die Literaturfreunde dann nach der Pause (und auch die Herrlichkeit des Hörens, denn endlich hatte man das Mikrofon richtig justiert). Michael Kumpfmüller schildert in seinem Roman das letzte Lebensjahr Franz Kafkas und seine letzte große Liebe. Im Ostsee-Kurbad lernt der tuberkulosekranke Dichter die junge Köchin Dora Diamant kennen. Kumpfmüller gelingt es, den Literaten Kafka beiseite treten zu lassen und stattdessen den Menschen Franz zu schildern, eine unbekannte Seite an Kafka aufzuzeigen: Er ist fröhlich und glücklich, lebens- und liebesfähig. Dem Künstler als liebender Mann steht eine lebenspralle, geerdete Dora gegenüber, die den geliebten Franz bis zu seinem Tod begleiten wird. Kumpfmüller orientiert sich in seinem Buch an zahllosen Quellen, und an diesen entlang schreibend, gelingt ihm ein ebenso tragischer wie schöner Liebesroman, der uns auch ohne die prominente Hauptfigur in seinen Bann zöge.

Ungezwungen im Foyer

In Namen des "Coburg liest"-Teams begrüßte Buchhändlerin Irmgard Clausen die Gäste und dankte zunächst Mitstreitern wie Sponsoren für die tat- bzw. finanzkräftige Unterstützung. Für die musikalische Umrahmung sorgte virtuos der Percussionist Vladimir Sigarev, der sein Marimbaphon von Bach bis zeitgenössisch erklingen ließ. Als "Trüppchen wild gewordener Literatur-Liebhaber" hatte Irmgard Clausen das "Coburg liest"-Team bezeichnet, und nach dem Ende des offiziellen Teils (die Diskussion mit den Autoren wollte zum Abschluss nicht so recht in Gang kommen) stand so mancher "wild Gewordene" noch lange plaudernd und diskutierend im Foyer der Reithalle, ungezwungen und un-frontal mit den Literaten ins Gespräch vertieft.