Coburg - Ein Tausendsassa, dieser Jean Paul: Literat und Spötter, Medicus und Meteorologe, firm in Braukunst und Pädagogik. Es gab wohl wenig, worauf sein heller Kopf sich nicht verstand, zumindest nach der einzig maßgeblichen Einschätzung: seiner eigenen. Viel gibt es mithin für jene zu entdecken, die im Jubeljahr den Vorsatz fassen, sich dem mutmaßlich Unlesbaren zu nähern.

An Wegweisern herrscht kein Mangel dank des rührigen Vereins Jean Paul 2013, der von langer Hand den Festtag vorbereitet hat, der am Donnerstag auch Coburg bewegte: Jean Pauls 250. Geburtstag. Einen Presssackwurf entfernt von jenem Haus in der Gymnasiumsgasse 5, in dem der Dichter mit seiner Familie von Juni 1803 bis August 1804 lebte, enthüllte Coburgs 2. Bürgermeister Norbert Tessmer eine der 25 Litfaßsäulen, die zeitgleich in Deutschland und Tschechien ausgepellt wurden, und bis zum 14. November - dem Sterbetag des Dichters - Lebensstationen der "ewigen Wanderratte" markieren.

Der Shooting Star

Unter dem markigen Leitspruch "Die Bücher sind die stehenden Armeen der Freiheit" gibt der literarische Zylinder kompakt Aufschluss über die Vita und die örtlichen Bezüge des Johann Paul Friedrich Richter aus Wunsiedel, der als Jean Paul zum Shooting-Star und Frauenliebling der Literaturszene des späten 18. Jahrhunderts aufstieg. Und nicht nur das, wie die Schlagworte verkünden: "Wetterfroschinterpret", "Verlobungsweltmeister", "Sechsflaschenmann", "Luftschiffer der Fantasie", "Fremdwortprotz", "Modeverweigerer", "Kartoffelfreund" und der Titel mehr haften am schillernden Schöngeist.

Was es mit all diesen Attributen auf sich hat, wissen und verraten Brigitte Maisch und Edmund Frey in ihrem druckfrischen Buch "Säusak, Schwanenkiele und sehr schöne Gesichter", das sie im Anschluss an die Enthüllung der Litfaßsäule in der Coburger Stadtbücherei den zahlreichen (potenziellen) Jean-Paul-Verehrern mit einer textlich-kulinarischen Verkostung schmackhaft machten - stilgerecht mit "Säusak" (Presssack) und Dunkelbier. Den idealen Rahmen bildeten die kongenialen Jean Paul-Illustrationen Stephan Klenner-Ottos (siehe unten), der auch das Buch mit einigen Radierungen schmückt.

Akribisch hat das Autoren-Paar die 15-monatige Coburg-Episode vor allem anhand zahlreicher Briefe erforscht. Das Ergebnis - soeben in der Schriftenreihe der Historischen Gesellschaft Coburg als Band 25 erschienen - ist, dem Gegenstande angemessen, alles andere als eine trockene literaturwissenschaftliche Abhandlung: Kurzweilig, geistreich und amüsant schildern Frey und Maisch das Leben des großen Dichters in der in der kleinen Residenzstadt, für die er so kurz und heftig entflammte.

Wir erfahren, dass nicht nur das Bier Jean Paul nach Coburg lockte (und alsbald weiter trieb nach Bayreuth), wie er in der Altstadt und am Adamiberg lebte, was er hier schrieb, mit wem er verkehrte, welche Rolle er in der höfischen Gesellschaft spielte - und wie der Haussegen bei Richters meistens hing.

Der Wildpinkler

Unter dem Lokalkolorit zeichnet sich ein plastisches Porträt eines eigensinnigen Künstlers ab, den die Autoren in kritischer Verehrung vom Klischee des komischen Kauzes befreien möchten - was ihnen Jean Paul nicht gerade leicht macht. Die "merkwürdigen Eigenarten" des zu tüchtigem Trunke, strikter Sparsamkeit und patriarchischem Habitus neigenden Hitzkopfes bleiben nicht ausgeklammert und verknüpfen als "biografische Belustigungen" in zuweilen süffisantem Unterton die biografischen Kapitel.

Natürlich kommt auch jenes "absonderliche Vorkommnis" zur Sprache, das Jean Pauls Andenken in Coburg nachhaltig prägt: Sein öffentliches Urinieren am Neujahrsabend 1804, für das er eine "Pisssteuer" von einem Reichstaler entrichten musste. Glimpflicher käme er auch heute nicht davon, erfahren wir im "komischen Anhang" des Buches: Exakt 58,50 Euro Bußgeld würde das Ordnungsamt der Stadt Coburg dem vorsätzlichen Wildpinkler in Rechnung stellen.

Nicht immer geht es so spaßig zu in den "biografischen Belustigungen": Der erste dieser Exkurse ist dem "Trinkunfug" des bekennenden Bieromanen gewidmet, das die Autoren keineswegs auf Schmunzelniveau abhandeln. "Er hatte zweifelsohne ein Alkoholproblem", stellt Edmund Frey klar, seine Kreativität bedurfte des "Gehirnkitzels" durch Koffein, Alkohol - und auch Opiate: "Nüchtern konnte er kaum schreiben".

Der Sprachkünstler

Dass die wortmächtigen und wortverspielten, ab- und ausschweifenden Resultate seiner solcherart beflügelten Fabulierlust dem heutigen Leser erkleckliche Mühen bereiten, verhehlen Maisch und Frey nicht - doch sie ermutigen das Publikum, den "sprachmächtigsten und fantasiereichsten deutschen Schriftsteller zwischen Klassik und Romantik" neu zu entdecken. Wohlweislich in kleinen Schritten, bei denen sie uns mit ihrer "kleinen Vorschule für Jean-Paul-Leser" fürsorglich an die Hand nehmen. Das tun die beiden mit solch liebenswürdiger Leidenschaft, dass man sich ihrer Jean-Paul-Verführung kaum entziehen mag.

Edmund Frey, Brigitte Maisch: "Säusak, Schwanenkiele und sehr schöne Gesichter": Jean Paul in Coburg. Hrsg. Historische Gesellschaft Coburg e.V., Coburg 2013.

ISBN: 978-3-9810350-7-7. 160 S., 14,50 Euro