Coburg - Da ist sich Kurt Scharf sicher: Friedrich Rückert hätte nicht nur den Rahmen, sondern auch den Inhalt der Veranstaltung zu schätzen gewusst. Im Trausaal des Bürglaßschlösschens trafen sich am Montag Abend zahlreiche Coburger Literaturfreunde, um den Versen des iranischen Dichters Esmail Kho'i zu lauschen. Im Jahr 2010 war der Schriftsteller Träger des 2. Coburger Rückert-Preises, und nun liegt in der Übersetzung von Kurt Scharf der Gedichtband "Am Fenster der Erinnerung" vor. 40 Gedichte aus verschiedenen Publikationen sind in dem Buch vereint, manche davon zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt.

Doch vor der Lyrik stand die Prosa, und für die war Coburgs 2. Bürgermeister Norbert Tessmer zuständig. Der Kulturreferent begrüßte neben lokalpolitischer Prominenz vor allem Oskar Ohler, den Initiator des Coburger Rückert-Preises. Tessmer verwies darauf, dass trotz angespannter Haushaltslage dieser Preis im kommenden Jahr eine Neuauflage erfahren wird (siehe Infokasten). Mit der Lesung der Kho'i-Gedichte, so Norbert Tessmer, zeige sich, dass die Coburger Preisträger nicht in Vergessenheit geraten, sondern dass ihre Gedanken nachwirken und vertieft werden. Tessmer dankte zunächst den Protagonisten des Abends: Neben Kurt Scharf waren dies Hazara Farzane, die die Gedichte im Farsi-Original vortrug und Shooan Safari, der auf der Tanbur, einer Langhalslaute, Melodien seiner Heimat Persien intonierte. Der Dank des Kulturreferenten ging auch an Michaela Hofmann, Leiterin der Kulturabteilung der Stadt Coburg, die für die Organisation des Abends verantwortlich zeichnete.

Alphabetisierung

Kurt Scharf betonte in seinen einleitenden Worten, dass die Lyrik für über 1000 Jahre die wichtigste literarische Kunstform in Persien gewesen sei. Mit der erfolgreichen Alphabetisierung der vergangenen Jahrzehnte habe eine Hinwendung zur Prosa stattgefunden: "Analphabeten sind auf ihr Gedächtnis angewiesen. Da sind Gedichte geeigneter", weiß Scharf zu berichten. Die Gedichte von Esmail Kho'i, so Scharf, stünden zwar in der alten persischen Tradition, doch hätten sich die iranischen Lyriker inzwischen von festem Schema und Reimzwang verabschiedet. "Nun folgt die Form dem Gedanken", betont Scharf. Kho'i schreibt in freien Versen, in denen nicht nur sein politisches Engagement zum Ausdruck kommt, sondern auch seine betörend sinnliche Kraft.

Esmail Kho'i wurde 1939 in der ostiranischen Stadt Mashad geboren. Nachdem er Stellung gegen das Schah-Regime bezogen hatte, lebte er fast zwei Jahre im Untergrund. Nach der islamischen Revolution floh er in den 1980er Jahren über Pakistan nach Europa. Heute lebt und arbeitet Esmail Kho'i in London. Im Iran dürfen seine Bücher nicht publiziert werden, doch Kurt Scharf berichtet, dass vor jeder Universität des Landes Straßenhändler verbotene Lektüre anbieten, darunter natürlich auch Bücher von Esmail Kho'i.

Bei der Lesung im Bürglaßschlösschen hörten die Gäste nicht nur die deutschen Übersetzungen sondern auch die persischen Originale, die von der in Coburg lebenden Iranerin Hazara Farzane vorgetragen wurden. So bekam man einen Eindruck von der Sprachmelodie dieser Lyrik, der bei aller qualitätvollen Übersetzung doch stets am Besten im Original nachgelauscht werden kann.

Esmail Kho'i: "Am Fenster der Erinnerung". Übersetzt aus dem Persischen von Kurt Scharf. Zweisprachig persisch - deutsch. 154 Seiten, Broschur. Verlag Hans Schiler, 18 Euro. ISBN: 978-3-89930-339-1.

Der Internationale Coburger Rückert-Preis

Seit 2008 verleiht die Stadt Coburg den mit 7500 Euro dotierten Coburger Rückert-Preis in Erinnerung an den berühmten Orientalisten, Dichter, Übersetzer und Sprachforscher Friedrich Rückert (1788 - 1866), der - mit Unterbrechungen . von 1820 bis 1866 in Coburg-Neuses lebte und arbeitete. Der Preis will nach dem Motto Rückerts "Weltpoesie ist Weltversöhnung" einen Beitrag zur Völkerverständigung leisten. Rückert hat sich mit 44 Sprachen befasst, wobei die des Nahen und Mittleren Ostens den Schwerpunkt seiner Arbeit bildeten. So wird auch der Preis an Autorinnen und Autoren der arabischen, iranischen/afghanischen, koptischen, hebräischen, aramäischen und indischen Sprachen verliehen. 2008 stand die arabische Literatur im Fokus - Preisträger war der ägyptische Romancier Alaa-al-Aswani - ,vor zwei Jahren mit Esmail Kho'i der persische Sprachraum. Der Coburger Rückert-Preis wird 2013 zum 3. Mail verliehen, und zwar aus aktuellem Anlass für "Literatur nach dem arabischen Frühling".