Am Schluss blieb kein Auge trocken. Schumanns Lebensstationen, seine Begegnungen schon in Jünglingsjahren mit vielen großen Dichtern und Komponisten – wie Goethe, Schiller, Heinrich Heine oder Felix Mendelssohn-Bartholdy, Johannes Brahms – und vor allem seine Liebe zur vom Vater, Friedrich Wieck (1785-1873), einem theologisch vorbelasteten Musiklehrer in Leipzig und Dresden, aus egoistischen Gründen zur „Klaviermaschine“ herangezogenen Clara Wieck, rissen die vielen Kunstfreunde im Mitwitzer Wasserschloss zu Begeisterungsstürmen hin.

Der in allen Konzertsälen der Welt willkommene Pianist Christoph Soldan, Jahrgang 1964, Schüler von Christoph Eschenbach und schon 1989 Klavierpartner von Leonard Bernstein, Mitglied und Solist vieler Orchester – Salzburg, Berlin, Leipziger Gewandhaus bis Japan – nahm nach Konzertlesungen mit dem Schriftsteller Peter Härtling (*1933) und dessen Werken über Schubert („Schubertiade“) und letztlich über Robert Schumann („Schumanns Schatten“) – dessen Rezitationskunst, als Härtling schwer erkrankte, selbst auf. Und das ist gut so; denn der Pianist Soldan ist auch als Rezitator ein Ausnahmetalent. Mit einer zarten bis gewaltigen Stimme las er aus Härtlings Roman dessen Verarbeitungen des lange verschollen geglaubten Tagebuchs Dr. Richards, des letzten Arztes, der den an Syphilis (verbunden mit Sprach-, Gehör- und Hirnschwund) erkrankten und letztlich ausgezehrt sterbenden Robert Schumann in der Psychiatrie behandelte.

1994 tauchte die Handschrift im Privatbesitz der Nachkommen des Arztes auf, wurde wegen der ärztlichen Schweigepflicht nur zum Teil veröffentlicht, aber Peter Härtling hatte – angezogen und abgestoßen von den oft peinlichen Details – Einblick in das Gesamtwerk. Er verarbeitete seine Einblicke romanhaft als Lebensgeschichte, quasi im Rückgang zu Robert Schumann Kindheit bis zur Einweisung nach Endenich und dem anschließenden bitteren Ende.

Über seinen Vater hatte der junge Schumann bereits Kontakt mit Goethe, Jean Paul und Hölderlin. Sein Wunsch mit 10 Jahren: Dichter und Musiker werden. Nach glänzendem Abitur durfte er seine „Helden“ Jean Paul in Bayreuth – der allerdings bereits verstorben war – und Heinrich Heine in München besuchen. Seine Sprachschwierigkeiten als Stotterer machten ihm mit Heine Probleme, dessen Rollenspiele in der Kommunikation mit dem 18-jährigen Robert diesen aber ermutigten, die Dichtung ihm – Heine – zu überlassen und sich statt dem verordneten Jurastudium der Musik zu widmen.

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Zerrissen zwischen Freude und Trauer

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Schumann gab das Jurastudium auf, komponierte schon in diesen frühen Jahren erste Meisterwerke in Heidelberg und studierte dann in Leipzig und Dresden bei Friedrich Wieck. Er war 20 Jahre, Wiecks geniale Tochter Clara 11 Jahre. Die frühe Liebe führte zum Bruch mit der Familie Wieck („ein Lump und Sexist“ sei Schumann) und zu langjährigen Prozessen, die Wieck verlor. Robert heiratete seine Clara, die als europaweit anerkannte Solistin für beide das Geld verdiente.

Denn nur in Düsseldorf (Tonhalle Orchester) erhielt Robert Schumann eine Kapellmeisterstelle, nicht als Nachfolger seines Freundes Mendelssohn in Leipzig und nicht in Dresden. Schon in Düsseldorf machte sich seine Krankheit bemerkbar und steigerte sich bis zu einem Selbstmordversuch im „schönen Rhein“, der Einweisung in die Anstalt bei Bonn und, nach einem einzigen Besuch Claras, zum Tod.

Die frühe ehrgeizige Genialität Robert Schumanns setzte Christoph Soldan an dem scharfen expressionistischen Flügel des Weißen Saales im Wasserschloss Mitwitz in den 12 Charakterstudien – gewissermaßen Vorstudien zu seinem „Karneval in Venedig“ – den „Papillons op. 2“ (1830-1831) energisch und beseelt zugleich voll in Szene. Gewaltige Klänge und melancholische Poesie zeigen Schumanns frühe Zerrissenheit und den Zwiespalt zwischen ausgelassen (walzerseliger) Freude und tiefen Zweifeln und Weltschmerz, Trauer.

Christoph Soldan interpetierte die konzertanten und höchst virtuosen Stücke mit einer russisch beseelten Leidenschaft – zart und fein, voller Rhythmus, aber auch verträumter und improvisierter Gefühlsbetontheit; in sich und Schumanns Seele versunken, kontrastreich und expressiv; innerer Ausdruck nicht äußere Beschreibung einer in Musik gegossenen Seelenlandschaft.

Die ausgewählten Werke stimmten in allem zu den Lesungen des Lebensweges. Von den frühen „Schmetterlingen“ im Bauch zu den „Kinderszenen op. 15“ – Robert hatte mit Clara sechs Kinder, die ihren Vater auch in seiner Krankheit verehrten und achteten. Soldan präsentierte von wehmütiger Zärtlichkeit in „Von fremden Ländern und Menschen“ über den ausgelassenen „Hasche-Mann“, einem demütig „bittenden Kind“ – man denke an Wieck, der seine Tochter zur Klaviermaschine zum eigenen Ruhm machen wollte – und beider „Träumerei“, Träumen „Am Kamin“ über das „Fürchtenmachen“ in Märchen bis zum „Kind im Einschlafen“. Voller Kraft spielte Soldan den harten Flügel in den lebhaften und temperamentvoll-heiteren Szenen voll aus; ausschweifendes Hochgefühl – und dann wieder sanfte und zarte, dahingehauchte Töne zum Träumen.

Nach der letzten Lesung mit den letzten Tagen Schumanns beendete besonders beeindruckend für alle Hörer das letzte Stück der „Kinderszenen op. 15“ (Nr. 13): „Der Dichter spricht“ diese gewaltige und in ihrer Art als Lesekonzert einmalige Performance. Der Beifall für Christoph Soldan wie auch für den abwesenden Schriftsteller des Buches „Schumanns Schatten, Peter Härtling, wollte kein Ende nehmen. Und mit der Zugabe von Johann Sebastian Bachs zartem Choral „Jesus meine Freude“ beendete der Künstler ein eindrucksvolles Konzert.