Maßbach - Stück zu Ende. Vorhang zu. Applaus verklungen. Ein kollektives Lächeln liegt in der Luft. Da das Maßbacher Theater räumlich sehr intim ist, kommen einem schnell die ersten Kommentare der Sitznachbarn zu Ohren. "Ich bin beseelt", haucht es aus berufenem Munde, der sich sonst eher professioneller Zurückhaltung befleißigt. "Ja", möchte man zurückhauchen, selbst wenn der Kritiker mit überschwänglichen Gefühlsregungen sorgsam haushalten sollte.

Was ist geschehen? Wir erlebten eben die Premiere eines Zwei-Personen-Stücks des Amerikaners Mark St. Germain, eines Autors, der sein Handwerk als Drehbuchschreiber für TV-Serien gelernt hat. Sein bisher erfolgreichster Coup gelang ihm 2014 mit "Dancing Lessons", einem Theaterstück, das mit "romantischer Komödie" nur unzureichend beschrieben wird.

Augustinus von Loë hat "Die Tanzstunde" nun in Maßbach inszeniert. Anna Schindlbeck und Georg Schmiechen spielen darin zwei höchst unterschiedliche Menschen, die sich auf ungewöhnliche Weise näherkommen, in einem steten Hin und Her aus Abstoßung und Annäherung. Die Revuetänzerin Senga Quinn wurde bei einem Unfall schwer am Knie verletzt und hat allen Grund, sich um ihre Karriere Sorgen zu machen. Deprimiert hat sie sich in ihre Souterrainwohnung in Manhattan zurückgezogen.

Bühnenbildnerin Anita Rask Nielsen (Kostüme: Daniela Zepper) hat das enge Apartment - den Handlungsort - als mit Ziegeln roh gemauerten ehemaligen Lagerraum eingerichtet, in dessen Mitte ein breites Bett mit kuscheligen Decken steht. Er, Ever Montgomery, Professor der Geowissenschaften, lebt im selben Haus und wendet sich mit einem befremdlichen Anliegen an die ihm bis dato unbekannte Nachbarin: Ob sie ihm für 2153 Dollar eine Tanzlektion erteilen könne? Man erwarte von ihm, auf einer Veranstaltung zumindest einen Tanz zu absolvieren. Er sei jedoch Autist, reagiere allergisch auf Körperkontakte und könne sich nicht adäquat zum Rhythmus einer Musik bewegen. Zudem müsse er Gefühlsäußerungen seiner Mitmenschen mühsam entschlüsseln.

Es treffen also Charaktere aufeinander, die im Umgang mit Gefühl und Verstand auf verschiedenen Planeten zu leben scheinen. Sie, die die Kraft der Fantasie kennt, er, der nur mit der Macht der nüchternen Analyse und durch disziplinierte Verhaltensschulung das Leben meistert.

Kann man nach einer solchen Geschichte (die erfreulicherweise nicht süßlich happyendet) beseelt nach Hause gehen? In der Tat. Die Dramaturgie ist vom Autor bis aufs i-Tüpfelchen durchdacht. Man erkennt die Handschrift eines exzellenten Drehbuchschreibers. Spannende Dialektik von Komik und Tragik. Wortwitz und Situationskomik im exakten Timing. Wahrhaftige Dialoge. Und man spürt: Der Autor liebt seine Figuren. Gleichermaßen erkennen wir, wie sensibel der Regisseur und sein Inszenierungsteam den Stoff bearbeiteten und selbst kleinsten Gesten Aufmerksamkeit schenken.

Auf der Bühne versetzen sich Anna Schindlbeck und Georg Schmiechen so in ihre Rollen, dass wir alsbald vergessen, wo wir wirklich sind. Wir könnten zugleich lachen und weinen über das, was wir sehen. Wie sich Senga und Ever anfänglich voller Misstrauen beäugen. Wie sie vor den Gesten und Worten des Anderen zurückschrecken und sich peu à peu zu verstehen versuchen. Wie achtsam sie auf ihn zugeht, um ihm mit der Schönheit von Berührung und Bewegung vertraut zu machen. Wie er zurückweicht und sich dann wiederum mit der Kraft des Verstandes auf den verborgenen Kosmos der Gefühle zubewegt. Wie sich beide verändern, weil jeder für sich den wichtigsten Schlüssel zur Überwindung der eigenen geschlossenen Welt entdeckt, auch wenn beide die Mechanik des Türöffnens noch nicht beherrschen.

Der mühselige Prozess der Veränderung mittels Courage wird von Schindlbeck und Schmiechen so subtil und ergreifend gespielt, dass wir nach zwei Stunden Sengas Apartment tatsächlich beseelt verlassen.

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Vorstellungen in der Region: 27.11. Ebern (FTE-Saal, 19.30 Uhr), 10.12. Lichtenfels (Stadthalle, 19.30 Uhr), 12.12. Schwabthal (Rehaklinik, 19 Uhr).

Infotelefon: 09735-235

www.theater-massbach.de