Coburg - Dass Tankred Dorst zu einem der bedeutendsten deutschsprachigen Dramatiker wurde, hat eine Menge mit dem Coburger Landestheater zu tun. Hier, wo er vor acht Jahrzehnten seine künstlerische "Initialzündung" erlebte, wird sein 90. Geburtstag gebührend begangen: Mit der Uraufführung eines Stückes, das bislang nur er und seine Frau und Co-Autorin Ursula Ehler kennen. Aus der Lektüre der Entwürfe und vielen Gesprächen mit dem Bühnenautor weiß Intendant Bodo Busse freilich, worum "Die Motivsuche" kreist: Das Stück untersucht den Umgang mit Geschichte und Wahrheit - ein in der Vestestadt gerade heiß diskutiertes Thema. Den ernsten Stoff verarbeitet Dorst mit kunstvoller Poesie, Psychologie und feinem Humor, verrät Busse.

Die Premiere am 23. Januar 2016 - gut einen Monat nach Dorsts 90. Geburtstag - eröffnet eine Veranstaltungswoche zu Ehren des Schriftstellers mit szenischen Lesungen und Filmvorführungen, in der Tankred Dorst womöglich bislang Verborgenes aus seinem "alten Apothekerschrank" holen wird, hofft Busse.

Die musikalischen Klangfarben, mit denen das Theater-Team die "vielseitige bunte Stadt Coburg" in der Spielzeit 2015/16 beglücken möchte, reichen vom Samba bis Belcanto. "Der Schöngesang ist mir sehr, sehr wichtig", betonte der Intendant am Montag bei der Vorstellung des Premierenreigens, den ein Zentralwerk des italienischen Belcanto am 19. September eröffnen wird: Vincenzo Bellinis "Norma" mit Celeste Siciliano in der Titelpartie. Brigitte Fassbaenders Inszenierung der "Bohème" wird nach der Juni-Premiere im Oktober wiederaufgenommen.

Verstärkung erfährt Busses "junges und sehr leistungsfähiges Sänger-Ensemble" auch durch einen Publikumsliebling, der Coburg die Treue hält: Betsy Horne kehrt als Feldmarschallin im "Rosenkavalier" am 6. März auf die Bühne am Schlossplatz zurück. "Ein bisschen Bollywood" verheißt Leo Délibes auf deutschen Bühnen selten zu erlebende Oper "Lakmé". Den "Coburger Barockzyklus" setzt GMD Roland Kluttig mit Henry Purcells Oper "Dido und Aeneas" fort, die er mit einem Werk des 20. Jahrhunderts kombiniert: "Riders to the sea" von Ralph Vaughan Williams.

Seinen guten Ruf als "Broadway Oberfrankens" möchte das Landestheater ab Herbst mit einer Jazz-Operette festigen: Paul Abrahams "Ball im Savoy" hätte 1932 den Beginn einer viel versprechenden deutschen Musical-Tradition markieren können - was die Nationalsozialisten vereitelten. Neben diesem " großen Spektakel" verheißt der Intendant den Fans gehobener Unterhaltung einen weiteren Coup: Als erste deutsche Profi-Bühne präsentiert das Landestheater am 13. Februar Barry Manilows glamouröses Musical "Copacabana", das nebst Rockigem und Balladen auch südamerikanisch groovt: "Endlich bekommt Coburg sein Samba-Musical", schmunzelt Busse.

Himmlischer Kitsch

Dass Musiktheater und Schauspiel in Coburg nicht nur friedlich koexistieren, beweist Matthias Straub wieder einmal ab 2. Oktober mit Kay Pollacks Schauspiel mit Musik "Wie im Himmel". Das "kitschtriefende Epos" setzt der Schauspieldirektor mit dem bühnenerprobten Coburger Chor "Unerhört" in Szene - am Piano begleitet von Antoinetta Bafas.

"Fast schon ein Neo-Klassiker" ist Max Frischs Drama "Andorra" über Ausgrenzung und Rassismus, das Michael Götz in der Reithalle inszenieren wird - "wie ich hoffe, radikal", so Straub. Radikal spannend "und ein bisschen brutal" gibt "Bash - Stücke der letzten Tage" von Neil LaBute Einblicke in mörderische Seelen. Des Blutvergießens überdrüssig ist der Revolutionsheld, den Straub im März 2016 auf die Große Bühne holt: "Dantons Tod" von Georg Büchner versteht er als Weiterführung der Schillerschen "Räuber" auf philosophischen Ebenen. Ein Hauen und Stechen anderer Art zeigt "Die Grönholm-Methode", Jordi Galcerans bissiges Stück über den knallharten Karrierekampf. Ihr mit "Woyzeck" überaus erfolgreich begonnenes Teamwork setzen die Schauspiel- und Ballettensembles mit dem Psycho-Schocker "Clockwork Orange" fort.

Mark McClains Ballettcompagnie plant für die Spielzeit 2015/16 eine keineswegs nur rockige "Hommage an Queen" und die Wiederentdeckung eines Balletttraums aus der Feder des "Coburger Walzerkönigs": "Aschenbrödel" nach den Kompositions-Fragmenten von Johann Strauß. Um ihr Publikum auch physisch zu bewegen, fordern die Tänzer/innen bei ihren nächstjährigen "First Steps" in der Reithalle "Shut up & dance": Ihre choreografischen Miniaturen sollen die Zuschauer anstecken und in eine Party münden. "So habe ich mir das jedenfalls vorgestellt", meint Ballettchef McClain.

Bürger auf die Bühne

An Jung und Alt richtet sich das große Tanztheaterprojekt, mit dem Theaterpädagogin Luca Pauer an das Mehrgenerationenprojekt "Unendliche Geschichte" anknüpft. Unter dem Motto "COnstruct: Versunken" sollen Coburger Sagen und Legenden gemeinsam auf die Bühne geholt werden. Alle Generationen dürften auch am "Räuber Hotzenplotz" ihren Spaß haben, der in Stephan Mertls Gestalt ab 14. November sein Unwesen im Theater treibt - inszeniert vom Multitalent Thorsten Köhler, der sich in der Reithalle auch von ganz anderer Seite zeigen wird: Beim Liebesleidliederabend "Alte Scheiße Liebe". Sein Schauspiel-Kollege Frederik Leberle, dessen Regie-Debüt "Tschick" zum Reithallen-Bestseller avancierte, inszeniert Theo van Goghs Schauspiel "Das Interview" auf der Studiobühne.

Räumliche Experimente wird das Landestheater im kommenden Jahr nicht unternehmen: Neue Foren wie die Hochschule oder das Landgericht, die als potenzielle Ausweichspielstätten für die Zeit der Generalsanierung getestet wurden, lockten wenig Publikum an. "Es hat nicht funktioniert, schade", resümiert Bodo Busse.

Die "dritte Bühne" freilich boomt und wird auch 2015/16 ein Hort der Heiterkeit: Im Münchner Hofbräu reimt der unvergessene Schalk Heinz Erhardt "Noch'n Gedicht".