Heiligenstadt – Abendrot und rauchende Schornsteine, dazu verschneite Straßen: Am Heiligendabend 1856 ist das Weihnachtsglück für den Heiligenstädter Kreisrichter und Dichter Theodor Storm (1817-1888) perfekt: Ein Tannenbaum mit selbstgebasteltem Schmuck und Spitzen steht bis unter die Decke, dazu Hausmusik und Kuchen. Der Literat aus Husum, der grauen Stadt am Meer, feiert mit Ehefrau und vier Kindern mit Ritualen aus seiner norddeutschen Heimat. Diese ist von Dänen besetzt. Weil er auf der Seite der schleswig-holsteinischen Erhebung stand, musste er emigrieren. Das katholische Eichsfeld in Thüringen gehörte damals zu Preußen. Für acht Jahre wurde Heiligenstadt zu seiner Heimat.

Rund eineinhalb Jahrhunderte später erinnert Heiligenstadt traditionell an das Stormsche Heimweh und die erste Weihnacht in der Stadt. Mit „Weihnachten wie bei Theodor Storm“ thematisieren das Literaturmuseum und Förderverein die besondere Rolle, die das Weihnachtsfest im Leben des Dichters spielte. Sein Buch „Unterm Tannenbaum“ spielt nicht zufällig in Heiligenstadt, es hat autobiografische Züge. „Es ist eine Liebeserklärung an die Stadt“, sagt Museumsleiterin und Storm-Expertin Regina Fasold.
Darin beschreibt Storm seine Weihnachten in Mitteldeutschland. Wie im Arbeitszimmer Tee gereicht wurde, dass auf dem Tisch eine saubere Damasttischdecke lag, darauf eine rubinrote Zuckerdose. „Der Teekessel kochte auf Torfkohle, und es duftete nach dem braunen Weihnachtskuchen, der nach dem Rezept der Urgroßmutter gebacken worden war“, steht in der Erzählung „Unterm Tannenbaum“. Zur Bescherung bekam der Sohn eine Lupe für Käfer, einen kleinen Globus, ein Buch mit rotem Einband und einen Münchner Bilderbogen. Auch die Magd, die die Familie aus Husum mitgebracht hatte, wurde beschenkt.

In der Erzählung bringt überraschend Knecht Rupprecht mit einer roten Hakennase unterm Pelz einen großen Karton. Habt gute Weihnacht, lautet seine Botschaft. Im großen Karton rappelt es: Je weiter die Pappe auseinandergebogen wird, desto mehr kommt ein riesiger Tannenbaum zum Vorschein, dessen Spitze später bis zur Decke reicht. Auch die weiteren Zutaten sorgen bis heute für Begeisterung: Pfeffernüsse, eine Kiste mit Zuckerzeug und grünen Seidenbändchen. Zum Vorschein kommen Vögel, Hornissen, Hummeln, ein Nest voller kleiner Vögel, Himbeeren und weitere Waldbewohner. Dann wird der Baum geschmückt und die Zuckerfiguren angehängt, bis alle Kerzen brennen.
Die Verse von Knecht Rupprecht „Von drauß‘ vom Walde komm ich her; Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!“ sagen bis heute viele Überbringer weihnachtlicher Botschaften auf. „Viele wissen gar nicht, dass sie von Theodor Storm sind“, sagt Sigrid Seifert vom Förderverein des Museums.

Das Literaturmuseum schmückt traditionell den Weihnachtsbaum nach Stormschen Vorbild. In diesem Jahr hatte der Förderverein zu einem besinnlichen Nachmittag eingeladen. Im Museumskeller entstanden als Scherenschnitte auch die berühmten Papiernetze, die bei Storm mit einer Süßigkeit gefüllt an den Baum gehängt wurden. Auch brauner Kuchen durfte nicht fehlen, die Teekessel brodelten.
„Ich fühl‘s, ein Wunder ist geschehen“, zitiert Fasold Stormsche Erzählkunst und rührt ihr Publikum. Dieser Weihnachtszauber habe Heiligenstadt für den Dichter doch noch zu einem Paradies mit viel Platz für Kindheitserinnerungen werden lassen. Auch Storm-Tochter Gertrud schilderte oft und gern ihre kindlichen Erinnerungen. Für sie war der Vater „ein rechter Weihnachtsmann“.

Zum 200. Geburtstag des Dichters im September 2017 haben die Heiligenstädter sogar ein lebende Symbolfigur geschaffen: Dietrich Seifert, pensionierter Lehrer, sieht mit Zylinder und Mantel aus wie Storm. Der 63-Jährige wird von Januar an seine Ehefrau Sigrid, die Stadtführerin ist, bei den neuen Storm-Führungen begleiten. Dabei wird er auch dem Kreisrichter Storm begegnen – als Bronze-Figur mitten auf einer Treppe beim Museum, so als würde dieser gerade vom Gericht nach Hause gehen.