Coburg - "List" oder "Raffinesse"? "Verbannung" oder "Exilierung"? Das Ringen um Worte ist des Übersetzers tägliches Brot. Wie unterschiedlich ein und dasselbe Werk übertragen wird, darüber konnte man am Mittwoch Abend bei "Coburg liest" ein wenig erfahren. Die Veranstalter der Literaturtage hatten Friedhelm Rathjen eingeladen, seine Neuübersetzung von James Joyce's frühem Roman "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann" vorzustellen.

Reinhard Heinritz vom "Coburg liest"-Team begrüßte den Gast aus dem hohen Norden (Rathjen lebt in Emmelsbüll-Horsbüll, nahe der dänischen Grenze) und moderierte im weiteren Verlauf den Abend in der Alten Darre im Hofbrauhaus.

Dass die meisten Literaturfreunde Angst vor James Joyce haben, kann Friedhelm Rathjen nicht nachvollziehen und bekennt sympathisch: "Ich habe als Jugendlicher bei Joyce gleich mit dem 'Ulysses' angefangen, ohne viel zu verstehen und trotzdem meinen Spaß dran gehabt." Dass ihm nun - Jahre später - sein Beruf ebenso viel Spaß macht, merkt man bei der Lesung von einzelnen Textpassagen aus dem Roman, der inhaltlich und stilistisch als Vorbereitung für den "Ulysses" angesehen wird.

1916 erschienen

Joyce schildert - mit reichlich autobiographischen Anklängen - den Werdegang Stephen Dedalus' von seiner frühen Kindheit bis zum Eintritt ins Erwachsenenalter. Rathjen fasziniert hier besonders, dass Joyce die Sprache seines Protagonisten dessen jeweiligem Lebensabschnitt anpasst. Das erste Kapitel beginnt mit der "Muhkuh" und "Baby Tuckuck", das Buch endet mit ziemlich verstiegenen ästhetisch-philosophischen Betrachtungen des angehenden Künstlers. Bereits 1904 hatte Joyce die Arbeit an diesem Werk aufgenommen. Immer wieder überarbeitete er den Roman, bis er schließlich 1916 erschien.

Wie Friedhelm Rathjen erläuterte, wird der Roman einzig aus der Perspektive des Stephen Dedalus erzählt, doch komme durch den kontroversen Dialog mit seinen Gesprächspartnern Bewegung in das Werk. Rathjen betont, dass es bei James Joyce keinen Zufall gebe, dass man mit "weiterbuddeln" immer wieder Neues zutage fördern kann: "James Joyce ist wie ein Kosmos. Da gibt es immer wieder etwas zu entdecken."

Bei einer neuen Übersetzung, so Rathjen, gehe es nicht ums Besser- sondern ums Anderssein. Je nach den Kriterien des Übersetzers fallen die jeweiligen Versionen unterschiedlich aus. "Von Weltliteratur kann es gar nicht genug Übersetzungen geben", ist Rathjen überzeugt, und er meint, dass alle 30 bis 40 Jahre neue Übersetzungen angefertigt werden sollten, um sich der veränderten Sprache anzunähern. "Komisch: nur die Übersetzungen veralten - die Originale nicht", schmunzelt der Literaturwissenschaftler.

Zum Abschluss dieses interessanten und aufschlussreichen Abends kam dann noch das Original selbst zu Wort. Rathjen las zunächst ein paar Seiten seiner Übersetzung von "Finnegans Wake"( Rathjen: "Das Oberste an schwer zugänglicher Literatur"), dann hörte man auf einem knackenden und rauschenden historischen Tonträger den großen Iren aus seinem Werk rezitieren. Und man konnte Rathjen nur recht geben, der erklärt hatte, dass bei "Finnegans Wake" das Deutsche so unverständlich sei wie das Englische. James Joyce bleibt also auch im 21. Jahrhundert eine Herausforderung für Literaturfreunde.

James Joyce: "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann". Roman. Übersetzt aus dem irischen Englisch von Friedhelm Rathjen. 348 Seiten,Manesse Verlag, Zürich,2012. 24,95 Euro.

Der Übersetzer

Friedhelm Rathjen (geboren 1958) studierte Germanistik, Anglistik und Publizistik und arbeitet seit 1989 als literarischer Übersetzer, unter anderem von Mark Twain, Robert Louis Stevenson und Herman Melville. Seine intensive Beschäftigung mit Leben und Werk von Samuel Beckett und James Joyce schlug sich in Monographien über die beiden Autoren nieder. Seit 2009 ist er Herausgeber des "Bargfelder Boten", einer literaturwissenschaftlichen Fachzeitschrift, die sich Leben, Werk und Wirkung des deutschen Schriftstellers Arno Schmidt widmet. Im vergangenen Jahr erschien Friedhelm Rathjens Übersetzung von James Joyce's frühem Roman "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann".


Der Autor

James Joyce (1882-1941) war ein irischer Schriftsteller, der vor allem durch seine Romane "Ulysses" (1922) und "Finnegans Wake" (1939) bekannt wurde. Nach der Schulausbildung an einem Jesuiten-Kolleg studierte er moderne Sprachen in Dublin. Ab 1904 lebte er auf dem europäischen Festland - vorwiegend in der Schweiz und Italien, aber auch in Frankreich. Nach Meinung der Literaturwissenschaft besteht sein bedeutendster Beitrag zur modernen Literatur im Einsatz des "Stream of Consciousness",also dem Bewusstseinsstrom, dem sogenannten Inneren Monolog. Seine beiden großen Romane gelten als die kompliziertesten literarischen Werke des 20. Jahrhunderts.