Coburg - Spontan und ausgesprochen gerne sei er der Einladung gefolgt. Viele Erinnerungen verbinde er mit seiner Heimatstadt Coburg und insbesondere auch mit der Stadtbücherei, bekennt der Historiker Eckart Conze. Am Freitagabend war das Foyer der Bibliothek bis auf den letzten Platz besetzt, sodass Büchereileiterin Brigitte Maisch in ihrer Begrüßung zurecht von einem "Volltreffer" sprechen konnte. Man freue sich sehr, für diesen gemeinsam mit der VHS organisierten Abend den prominenten Wissenschaftler für die Präsentation seines Buches "Das Amt und die Vergangenheit" gewonnen zu haben.

"Das Amt" ist das Ergebnis der Arbeit einer Historikerkommission, die 2005 vom damaligen Außenminister Joschka Fischer eingesetzt wurde, um die Rolle der - so der Untertitel - "deutschen Diplomaten im Ditten Reich und in der Bundesrepublik" zu klären und aufzuarbeiten. Unter der Leitung von Eckart Conze arbeiteten die renommierten Wissenschaftler Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann fünf Jahre intensiv daran, die Geschichte des Auswärtigen Dienstes während des Dritten Reiches und den Umgang mit dieser Vergangenheit nach Kriegsende zu beleuchten, wobei man besonderes Augenmerk auf Kontinuität und Diskontinuität von diplomatischen Karrieren legte. Man versuchte im Auswärtigen Amt nach Kriegsende mit allen Mitteln, so Eckart Conze, sich reinzuwaschen. Legendenbildung setzte ein: Das Amt sei ein Hort des Widerstandes gegen das NS-Regime gewesen, allenfalls Mitläufer habe es in der Berliner Wilhelmstraße gegeben. Und so war es kein Wunder, dass die meisten deutschen Diplomaten nach dem Kriegsende ihre Karriere bruchlos fortsetzen konnten.

Eckart Conze und seinen Kollegen gelang es jedoch, massenhaft Beweise beizubringen, dass die deutschen Diplomaten - meist adelig oder großbürgerlich, der national-konservativen Oberschicht entstammend und sich selbst als Elite sehend - aktiv an der Judenvernichtung beteiligt waren, mit der Gestapo und der SS kooperierten und so der NS-Herrschaft wertvolle Dienste leisteten. Man half bei der Erfassung und Überwachung von Emigranten, bei Plünderung, (Kunst-)Raub, Verfolgung und schließlich auch bei der Judendeportation.

So berichtet Eckart Conze zum Beispiel von einer Reisekostenabrechnung aus dem Oktober 1941, in der als Reisezweck "Liquidation von Juden in Belgrad" angegeben ist.

Nach Kriegsende gab es denn auch in Nürnberg den sogenannten "Wilhelmstraßen-Prozess" in dem unter anderem Top-Diplomat Ernst von Weizsäcker als Kriegsverbrecher zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Verschiedene Medien kritisierten in den 50er- und 60er-Jahren den Umgang des Amtes mit seiner Vergangenheit, es gab Enthüllungen und Skandale, aber alles lief weiter wie gehabt. In den Zeiten des Kalten Krieges wurden Kritiker rasch in die kommunistische Ecke gestellt.

Umfassende Archivstudien weltweit sowie die konzertierte Anstrengung der vier Historiker und ihrer Mitarbeiterstäbe konnten nun nach sechs Jahrzehnten den Mythos um die Widerständler im Auswärtigen Amt und die Legendenbildung als solche entlarven.

Kein Wunder, dass nach Erscheinen des Buches im vergangenen Oktober ehemalige Mitarbeiter des Außenministeriums ihr Amt verunglimpft sahen. Und auch Historiker, die bislang die Deutungshoheit über die NS-Vergangenheit des Ministeriums für sich beanspruchten, meldeten sich empört zu Wort. Da haben Eckart Conze und seine Kollegen ganz offenbar in ein Wespennest gestochen ...

Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: "Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik". 880 Seiten, gebunden. Karl Blessing Verlag, München 2010. ISBN 3896674307. 34,95 Euro.