Wunsiedel Wunsiedels Traum vom süßen Leben

Aus dem "Stoff der Zukunft" will Frank Logemann, der auf der Luisenburg den Wunsiedler Bürgermeister (vorne) gibt, das Luxusgut Zucker herstellen. Bei den Stadträten sorgt das allerdings für große Empörung: "Eine Rübe ist unsere Rettung hat er im Ernst gesagt. Da hat sein Hirn versagt." Foto: Harald Dietz

Das köstliche Musical "Zucker" beschließt auf der Luisenburg in dieser Saison die Eigenproduktionen. Bei der Uraufführung des Simmler-Stücks bleiben allerdings viele Plätze leer.

 
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Wunsiedel - Das ist nicht fair: Da schreibt die künstlerische Leiterin der Luisenburg ein Musical nach Maß für die Felsenbühne, doch am Wochenende wollten nur wenige Zuschauer Birgit Simmlers nagelneues Werk sehen. Schade. Denn Wunsiedel, der aktuelle Wohnort der Theatermacherin, spielt eine große Rolle. Zudem enthält "Zucker" alle Ingredienzien für einen wunderbaren Theaterabend: Herz und Schmerz, Tragik und Tiefe, Historie und Intrige. Regisseur Marc Krone zaubert eine Felsenbühnen-gerechte Inszenierung, die Welt- und Lokalgeschichte leicht verdaulich serviert - fein abgeschmeckt mit Tanz und Tempo. Eigens komponierte Ohrwürmer des Komponisten Paul Graham Brown vollenden dieses "Zucker"-Stückchen.

Das Ensemble engagiert sich zwei Stunden lang in Höchstgeschwindigkeit für Musical-Höchstleistungen: Schlag auf Schlag wechseln die Mimen Szene für Szene in immer neue Rollen, dargeboten in aufwendigen Verkleidungen. (Kostümbild: Marion Hauer). Auf der gut genutzten Bühne im Wald singen, spielen und tanzen 21 Darsteller und acht Orchester-Musiker, dass es eine Freude ist. (Bühnenbild: Karel Spanhak, Choreografie: Simon Eichenberger).

Inhaltlich wie akustisch ist die verzwickte Schmuggel-Geschichte über das Luxusgut Zucker zu Napoleons Zeiten gut verständlich - obwohl ein Musical à la Simmler ohne Gut-Böse-Schema auskommt: Der Plot ist nicht platt. Vielschichtig angelegte Charaktere lassen erkennen, warum sie handeln und wie sich das verändert.

"Wann beginnt mein Leben?" Dieses schmachtig-schöne Lied verdeutlicht den Wandel der Hauptfigur Franzi: "Dann beginnt mein Leben, ich spreng meine Ketten", singt die junge Spionin hoffnungsvoll, als sie den Sprung ins Machtzentrum des Hamburger Zuckerimperiums geschafft hat. "Wo beginnt das Leben, jetzt ist unsere Zeit", spinnt sie den roten Faden weiter, als mit ihrem Vater die Flucht nach Wunsiedel gelingt. Marina Granchette spielt die mutige junge Verräterin wider Willen mit authentischer Frische.

Standesgemäß weniger ungestüm, doch nicht minder überzeugend kommt Lukas Sandmann als Geschäftsmann Florentin Schmidt daher. Ausgerechnet für die falsche Franzi will der junge Herr zu einem besseren Menschen werden: "Zu einem, den du lieben könntest."

Nach dem beruflichen Aus in Hamburg kehrt Florentin in seine geliebte Heimatstadt zurück. Zwar ist auch hier das "süße Leben versiegt", doch der Wunsiedler Bürgermeister will das Luxusgut Zucker aus dem "Stoff der Zukunft" gewinnen: "Eine Rübe ist unsere Rettung hat er im Ernst gesagt. Da hat sein Hirn versagt", meckern die Stadträte. Fast wie im richtigen Wunsiedler Leben lässt sich Frank Logemann auch auf der Bühne als fiktives Stadtoberhaupt nicht beirren: "Franzosen raus, Rüben rein."

Obwohl die Räte weiter stänkern - "Warum nicht gleich eine bayerische Sternenmission wie Bavaria One?" - soll der machtgeile Stadtrat Reisinger die Franzosen ins Boot holen. Mark Weigel gibt ihn als unsympathischen Kniebohrer, der alles besser weiß - Parallelen zu lebenden Personen drängen sich auf.

Doch die Wunsiedler weigern sich, auf diese "ridiküle Rübe" und den vom Bürgermeister angeschleppten preußischen Wissenschaftler zu setzen, den Matthias Zeeb als kuriosen Kopfmensch präsentiert. Stattdessen schmuggeln die Wunsiedler lieber Rohrzucker in Särgen - zunächst äußerst erfolgreich.

Ebenfalls für Lokalkolorit sorgt eine köstliche Szene in der Konditorei Otto Strehle in Marktredwitz. Hier genießen fünf Zuckerpuppen das süße Produkt aus ihrer Nachbarstadt. "Aber gönnen tu’ ich den Wunsiedlern ihren Reichtum ja nicht", macht einer diese blasierten barocken Bonbonnieren klar, die sich als Multi-Taskerinnen des frühen 19. Jahrhunderts entpuppen: Während die Klatschtanten mit ihren Reifröcken und Turmfrisuren singen und tanzen, klären sie nebst neuesten "Wer-mit-wem-Geschichten" gleich die Folgen der Weltpolitik für den heimischen Mikrokosmos: "Wir Rawetzer sind österreichische Böhmen." Jede dieser Zuckerpuppen wird bei ihrem rhythmischen Kaffeetassen-Geklapper von einem befrackten Kellner tanz- und taktvoll begleitet.

Wenig später spielen die pastellfarbenen Paradiesvögel graugewandete Fabrikarbeiterinnen. Diese sind wild entschlossen, den wirtschaftlich wie zwischenmenschlich an die Wand gefahrenen Karren aus dem Dreck zu ziehen. "Das ist, was wir Frauen hier tun" lässt Simmler ihre starke Schauspielerinnen-Riege singen: "Wir helfen einer Frau in Not".

So finden am Franzi und Florentin doch noch ihr Glück, ebenso wie die Wunsiedler: Denn die "grenzüberschreitende Rübe, eine europäische Rübe" ist auf einmal doch "eine Zukunftstechnologie", die das Überleben der Stadt sichert. Ein sehr süßes Ende für diese "Zucker"-Geschichte über Liebe und Verrat rund um das weiße Gold der damaligen Zeit.

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