Coburg - Die Frauen waren früher nicht so cool, und die Sommer waren länger. Früher hat er gelebt, irgendwie. Heute fährt er ab und zu mit der Straßenbahn, um die Gegenwart zu er-fahren, um im Jetzt anzukommen. Da ist er nämlich nicht zu Hause, denn er kennt den Trick nicht, wie man erfolgreich und glücklich wird. Er hat keine blendend weißen Zähne und kein gut durchblutetes Zahnfleisch. Er besitzt nur eine gute Hose, und die hat einen Brandfleck vom Bügeleisen. Er hat schwitzige Hände und Mundgeruch und niedrigen Blutdruck und Magengrummeln. Kurz: er hat heute ein Vorstellungsgespräch.

In diese Vorhölle der Arbeitslosigkeit führt das Landestheater Coburg seine Zuschauer in der Reithalle. Eugen Ruges Monolog "Restwärme" hatte am Freitagabend Premiere im fast ausverkauften Studiohaus. Der Autor, der zunächst Mathematik studierte und am Zentralinstitut für Physik der Erde in Potsdam arbeitete, kam erst mit 31 Jahren zum Schreiben. Als "Triumph eines Außenseiters" wurde gewertet, dass er im vergangenen Jahr den renommierten Alfred-Döblin-Preis gewann.

"Restwärme" wurde 1992 in Leipzig uraufgeführt. In Coburg zeichnet Andreas Ingenhaag, der gemeinsam mit Stella Kasparek auch die Ausstattung entwarf, für die Inszenierung verantwortlich. Ingenhaag vertraut (völlig zu Recht) auf seinen Protagonisten Niklaus Scheibli, der den Namenlosen in allen denkbaren Facetten ausleuchtet. Bei Ingenhaag und Scheibli darf die dichte, beklemmende Atmosphäre gleichberechtigt neben den absurd-komischen, ja albernen Textstellen stehen.

Der Arbeitslose wird zwar auf der einen Seite in seiner Erbärmlichkeit genau seziert, andererseits darf er, darf das Publikum noch seine Restwärme spüren, die er gegen die allgegenwärtige Coolness eigensinnig verteidigt, ebenso wie seinen "Restkommunisms".

Zu Beginn der Vorstellung wird der Zuschauer förmlich zum Voyeur, wenn der Mann in seinem abgewohnten Junggesellen-Appartement in den Tag startet, der so wichtig für ihn ist. Da will alles wohlüberlegt sein, nichts darf dem Zufall überlassen werden, nicht mal die Wahl der Unterwäsche: Boxershorts aus hochwertiger Baumwolle fördern die Potenz und somit das Selbstbewusstsein. Dass davon dem Einsamen nichts mehr geblieben ist, zeigt Niklaus Scheibli auf beklemmende Weise. Der Arbeitslose wird immer nervöser, lauter, hektischer. Scheibli lässt die Verzweiflung des Mannes so beängstigend hautnah spüren, dass man dazwischen gehen, ihn beruhigen, trösten, stoppen möchte.

Die Situation wird immer absurder und skurriler, der Mann verliert sich zusehends - und das Stück auch. "Es fängt heute gut an" heißt es am Beginn des Monologs, und das stimmt auch für den Text. Dann aber geht dem Autor irgendwie die Puste aus. Sein Protagonist isst Müsli gegen das Energiedefizit, denn er weiß: "Auf die Energiekurve kommt es an". Vielleicht hätte es Eugen Ruge beim Schreiben auch mal mit einer Müsli-Zwischenmahlzeit versuchen sollen, denn leider wird sein Text zum Schluss hin immer flacher. Die Bissigkeit verliert sich in Larmoyanz, der Wortwitz in Albernheit.

Aber auf der Bühne steht ja Niklaus Scheibli, und der weiß den Text auch durchs literarische Flachwasser zu manövrieren. Er verteidigt seine Figur gegen die Plattitüden des Buches, nimmt den Arbeitslosen vor dem Autor in Schutz. Donnernder Applaus des begeisterten Publikums dankte dem Darsteller sowie Regisseur und Ausstatterin für einen gerade deswegen packenden Theaterabend.