Hassberge Freunde bis ins Blut

Von Manfred Wagner
Blutsbrüder: Daniel Riethmüllers (links) Stammzellenspende rettete Simons Leben. In Eschenau betrachten die beiden gemeinsam die Fotos von der erfolgreichen Transplantation. Foto: Wagner

Daniel Riethmüller rettet mit der Spende seiner Stammzellen Simons Leben. Jetzt besucht der schwäbische Student die Haucks in Eschenau.

 
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Eschenau - Die 74-jährige Sieglinde Hauck wird das letzte Wochenende wohl nie vergessen. Ihr 20-jähriger Enkel Simon kam zusammen mit einem schwäbischen Studenten zu Besuch. Obwohl Oma Hauck den jungen Mann aus Weil noch nie gesehen hat, ist sie tief gerührt und Tränen schimmern in ihren Augen, als sie ihm die Hand gibt. Sie drückt ihn an ihr Herz und ergriffen bedankt sie sich immer wieder bei dem 23-jährigen Daniel Riethmüller, der mit seiner Stammzellenspende ihrem Simon das Leben gerettet hat.

Der Gast aus der Nähe von Stuttgart ist fast etwas verlegen, weil er ja "gar nischt viel" gemacht habe, sagt er leicht schwäbelnd. Er weiß, dass er durch seine Spende zum Lebensretter wurde, aber viel Aufhebens will er nicht darum machen. "Ich freue mich einfach riesig mit Simon, dass es ihm wieder gut geht", beschreibt er seine Gefühle.

Kennen gelernt haben sich die beiden am 27. Mai in Berlin, als die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) zum 20-jährigen Jubiläum einlud. Da erfuhren sie, dass sie seit über zwei Jahren "künstliche Zwillinge" sind. Denn Daniels Stammzellen leisten in Simons Körper ganze Arbeit und haben die früher unheilbare Krankheit Leukämie besiegt.

Die beiden Blutsbrüder verstanden sich auf Anhieb gut miteinander. Schnell wurden die Telefonnummern ausgetauscht und über Facebook pflegen sie ihren Kontakt. Für Simon, der inzwischen in Dettelbach (Landkreis Kitzingen) bei der Mutter lebt, war es ein Herzensanliegen, seinen Knochenmarkzwilling in seine fränkische Heimat in den Steigerwald einzuladen.

Möglich wurde diese wunderbare Geschichte, weil sich Daniel Riethmüller im Sommer 2005 im Rahmen eines Azubi-Turniers der Deutschen Telekom in Köln typisieren ließ. Erst dieses Ereignis habe ihn für die Leukämie-Problematik sensibilisiert, erzählte er beim Kaffee in Eschenau. Ende 2008 teilte ihm die DKMS mit, dass er als potenzieller Spender in Frage komme und am 12. Januar 2009 flog er zur Klinik in Dresden, um seine Stammzellen entnehmen zu lassen.

An diesen Tag kann sich Daniel genau erinnern. "Aus meinem Arm lief das Blut in eine Maschine, die die Stammzellen praktisch herausgefiltert hat. Über einen weiteren Schlauch lief das gewaschene Blut wieder in meinen anderen Arm in den Körper zurück", schildert er die Prozedur. Äußerlich betrachtet unterscheidet sich der Vorgang, der eine gute Stunde dauert, kaum von einer normalen Blutspende. "Davor braucht man wirklich keine Angst zu haben", betont der Student.

Der Tag danach, der 13. Januar 2009, war Simons Entscheidungstag, denn da führte die Würzburger Uniklinik die Stammzellentransfusion durch. Hinter Simon lag ein monatelanger, heftiger Leidensweg mit massiven Chemoblöcken und Bestrahlungen, die nichts genützt hatten. Sein Leben hing an einem seidenen Faden. Gesunde, fremde Stammzellen, dem eigenen Gewebe aber wie ein Ei dem anderen gleichend, waren der letzte Strohhalm, an den sich die Haucks klammerten.

In dieser Zeit organisierte die DKMS zusammen mit einer örtlichen Initiativgruppe sowie dem Riedbacher Altbürgermeister Theo Diem eine groß angelegte Typisierungsaktion in Hofheim. Die Welle der Hilfsbereitschaft war überwältigend: 1 700 Menschen kamen aus dem ganzen Haßbergkreis, spendeten Blut und Geld.

Diejenigen, die sich damals typisieren ließen, konnten Simon nicht helfen. Trotzdem war die Veranstaltung überaus erfolgreich, informiert Simons Tante Eleonore aus Lendershausen. Sieben Menschen, die den Weg nach Hofheim auf sich nahmen, sind zwischenzeitlich durch ihre Stammzellenspende zu Lebensrettern geworden - so wie Daniel Riethmüller. Die Wochen unmittelbar vor und nach der Transplantation waren für Simon und seine Familie eine unglaubliche psychische Belastung. In dieser Zeit war das Immunsystem des in Eschenau aufgewachsenen Jugendlichen so schwach, dass jede Infektion tödlich hätte verlaufen können.

Danach immer wieder die bange Frage: Werden die fremden Stammzellen ihre heilende Wirkung entfalten oder kommt es zu einer körpereigenen Abstoßreaktion? War die Stecknadelsuche im Heuhaufen erfolgreich oder zwecklos? Nach zwei endlosen Wochen des Wartens die frohe Botschaft: Die Ärzte finden erste neugebildete weiße Blutkörperchen in Simons Adern. Inzwischen führt Simon wieder ein ganz normales Leben. Er darf essen und trinken, wozu er Lust hat, absolviert im dritten Lehrjahr seine Ausbildung zum Sozialversicherungsangestellten in Schweinfurt und den anstehenden Urlaub nutzt er, um mit seinem Vater demnächst nach Rom zu fliegen. In seiner Freizeit spielt er am liebsten Fußball - oder besucht die Oma im Steigerwald.

Infos

Wer sich typisieren lassen oder mehr über eine Stammzellenspende wissen will, findet detaillierte Informationen auf der Internetseite der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS): www.dkms.de


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