Kronach Ein Stamm mit Charakter

Rainer Glissnik

Der Nageler Eiche wird durch die Ernennung zum deutschen Nationalerbe-Baum ein Altern in Würde ermöglicht. Sie gehört zu den 100 bedeutendsten Bäumen Deutschlands.

 
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Nagel - Die mindestens über 600 Jahre alte Eiche am Schloss Nagel wurde als bundesweit vierter Baum zum "Nationalerbe-Baum Deutschlands" ernannt. Damit wird die nationale Bedeutung dieses gewaltigen Baumes gewürdigt. Ziel ist, dass er noch viele weitere Jahrhunderte erlebt und dafür geschützt, gepflegt und geachtet wird.

Die Zeit sei reif, potenzielle Uralt-Bäume, die über 1000 Jahre alt werden können, zu schützen und zu pflegen, um ihnen damit langfristig ein "Altern in Würde” zu ermöglichen, unterstrich Professor Dr. Andreas Roloff. Er ist Leiter des Kuratoriums und Fachreferent für Parks, Gärten und städtisches Grün im Rat der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft und Inhaber der Professur für Forstbotanik sowie Direktor des Instituts für Forstbotanik und Forstzoologie. Seit 2019 leitet er das Kuratorium Nationalerbe-Bäume in der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft und engagiert sich auf diese Weise maßgeblich für den Erhalt, die Wertschätzung und Pflege alter Bäume. Ziel der Initiative ist es, 100 Bäume mit über 400 Jahren Alter und über 400 Zentimetern Stammumfang mit diesem Titel auszuzeichnen und durch Sondermittel und Schutzmaßnahmen in Würde altern zu lassen (www.nationalerbe-baeume.de ). Die Eva-Mayr-Stihl-Stiftung finanziert das Vorhaben.

Gemeldet wurde die herausragende Nageler Eiche vom Nordhalbener Revierförster Christoph Winkler. Damals waren Roloff und seine Mitstreiter noch ganz am Anfang. "Dieser Baum erfüllt alle Kriterien." Am 30. Dezember kam Roloff nach Nagel. "Seitdem bin ich überwältigt von diesem Baum."

In Deutschland gibt es keinen einzigen 1000 Jahre alten Baum, bedauerte Roloff. Dies zeigt eine Masterarbeit an der TU Dresden. Durchaus gebe es zehn Orte in Deutschland, die einen Baum als 1000-jährig bezeichnen. Wie hier in Nagel sei es eine wohlwollende Aufrundung, die für ihn akzeptabel ist. Wie mag es dieser mindestens 600-jährigen Eiche in Nagel ergangen sein?

In jungen Jahren kann die Eiche mit wenig Licht auskommen. Danach spielt der Lichteinfall eine entscheidende Rolle. Sie braucht ganz viel Licht und eine freie Krone. Im Alter nimmt sie Beschattung übel und wirft Äste ab. Im Umfeld der Nageler Eiche sollen Bäume gekürzt werden, damit ihre Krone wieder mehr Licht bekommt. Sonst sterben die unteren Äste ab, die in weiteren Jahrhunderten gebraucht werden. Sie schafft es sonst einfach nicht mehr, das Wasser in 26 Meter Höhe hinaufzubringen. Es soll geholfen werden, dass die Eiche ihre Krone etwas zurückbauen kann. Warme und trockene Jahre findet die Nageler Eiche toll, weil sie seit mindestens 500 Jahren ihre Wurzeln bis zur zehn Meter entfernten Quelle ausgestreckt hat.

In England war Roloff aufgefallen, dass es dort mehrere glaubhaft nachgewiesene über 1000 Jahre alte Bäume gibt. Die stehen meist auf Kirchhöfen. Er stellte sich die Frage: Was machen wir falsch in Deutschland, dass es solche hier nicht gibt? Ein Grund seien die günstigen Bedingungen ohne Kriege, ohne Holznot. In Deutschland ist man zudem stets besorgt, dass kein Schaden durch solche Bäume entsteht. Der sicherste Baum hier ist ein Baum ohne Äste, beklagte er die Verstümmelungen. "Es nimmt Ausmaße an, die mich erschaudern lassen." Er verlangt, ein Bewusstsein für diese alten Bäume zu entwickeln. Mit dem Projekt "Naturerbe Baum" entwickele sich etwas, 130 Vorschläge wurden bereits eingereicht.

"Es ist die erste Eiche unter den Nationalerbe-Bäumen", betonte Professor Roloff in Nagel. Es ist der erste Baum im Freistaat Bayern - und es ist der erste private Baum. Zunächst soll in jedem Bundesland ein solcher Baum gefunden werden. Der Nageler Baum wird lange der einzige in Bayern bleiben. Letztlich sind es zehn Baumarten, die hierfür infrage kommen: Das sind Stiel- und Traubeneichen, Winter- und Sommerlinde, der Ginkgo als nicht heimische Baumart, Lärche und Bergahorn im Gebirge oder die Esskastanie. Die Eibe könne wohl auch 2000 Jahre alt werden.

Wie mag diese Eiche in 500 Jahren aussehen? Denn diese Lebenszeit traut Roloff ihr zu. Sicher seien in der Eiche Hohlräume, aber sie sei standhafter als ein jüngeres Exemplar und habe wohl 81 Kubikmeter Holz. "Damit spielt sie in der obersten Liga in Deutschland." Sie hat einen ungewöhnlich geraden, astfreien Stamm - ein sicheres Zeichen, dass sie schon länger beschattet wurde. Eindrucksvoll seien die Rindenspalten und Borkenschuppen. "Es ist ein Charakterbaum" mit enormer Ausstrahlung. Jeder dieser älteren Bäume sei einzigartig. Die Eiche gehört zu den robusten Baumarten, die meisten kommen auch mit Trockenjahren zurecht. Die Eiche ist Lebensraum für 600 Insekten- und etliche Vogelarten. Kaum vorstellbar, was hier seit Jahrhunderten in der Krone an Lebensgemeinschaften zu Hause ist. Die alten Bäume sind Lebensraum wie kein anderer, weswegen sie so besonders wertvoll sind.

"Was für Schätze haben wir hier in unserer Natur", freute sich stellvertretender Landrat Gerhard Wunder. Der Standort soll einst ein germanischer Thingplatz gewesen sein, wo Volks- und Gerichtsversammlungen stattfanden. Diese wurden immer an wichtigen Handelsstraßen gebaut. Gerne können Menschen diesen faszinierenden Baum anschauen. Eindringlich wird aber gebeten, die Wurzeln nicht zu betreten und Rücksicht zu nehmen. Diese Bäume haben unendlich viel miterlebt.

Hubertus von Künsberg sagt: "Vor 30 Jahren übergab mir mein Vater den Besitz und damit auch die Verantwortung für diese Eiche." Dass diese Eiche nun so dasteht, dafür könne er nichts. Es gibt Menschen, die sagen, in diesem Bereich gebe es bestimmte Sensibilitäten, Auren. "Vielleicht ist es ja auch nur Glück, dass diese Eiche so alt geworden ist." Manchmal werde gesagt, in der Nageler Eiche könnten noch schwedische Kugeln stecken. Die Schweden waren im Dreißigjährigen Krieg in dieser Gegend.

Nicht weit entfernt gab es einmal eine Pflasterstraße entlang der Rodach, die Künsbergs Vater immer als Napoleonstraße bezeichnete. Wegen einer Renaturierung wurde diese Straße beseitigt, die Napoleon anlegen ließ, als er zur Schlacht nach Jena zog (1806). 1842 wurde das Gut Nagel gebaut. Der Bedarf an Holz war riesig. Aber niemand tastete die Eiche an, auch nicht bei späteren Bauten. Dazu kamen extreme Stürme, welche diese Eiche überstand.

"Wir sind stolz, dass wir dieses Geschenk der Natur, die 1000-jährige Eiche, bei uns haben", war der Küpser Bürgermeister Bernd Rebhan sichtlich froh. Küps habe acht Schlösser und eindrucksvolle Naturhöhepunkte. Klarinettenspieler der Musikschule Küps sorgten für eine faszinierende Umrahmung. Katharina Edlinger von der Eva-Mayr-Stihl Stiftung war dabei und machte sich vor Ort ein Bild von der stattlichen Eiche. Der Obst- und Gartenbauverein sorgte für die Bewirtung.

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