Kronach Mythen in Glas

Von Sabine Raithel
Glaskunst im einstigen Luftschutzkeller. Foto: Frank Wunderatsch

Der Geraer Glaskünstler Winfried W. Wunderlich schafft sinnliche Momentaufnahmen von Philosophie und griechischer Mythologie.

 
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Kronach - In der griechischen Mythologie ist es Charon, der düstere, greise Fährmann, der die Toten für einen Obolus in einem Binsenboot über den Totenfluss Styx bringt, damit sie in das Reich der Unterwelt, Hades, gelangen. Styx schlängelt sich in vollkommener Dunkelheit durch die tiefen Höhlen. In Kronach kann man diesen Fluss - auch ohne vorherige Bestattung und Obolus unter der Zunge - besichtigen. Oder besser: ein Abbild dessen, was daraus geworden ist.

Im Felsenkeller an der Schwedenstraße, der im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzbunker diente, hat der Geraer Glaskünstler Winfried W. Wunderlich diese Episode aus der antiken Mythologie nachempfunden. "Wir alle wechseln auch im Leben viele Male die Ufer", sagt Wunderlich. "Dafür haben wir Brücken gebaut. Die Gefahren des Bootes haben wir vergessen." In seiner Installation "UNTENoben / Charon III" haben sich die Symbole verkehrt. Auf dem Boden liegen die gläsernen Boote. Sie sind schön. Und eigentlich wünscht man sich einen fröhlichen Ausflug auf einem sonnenbeschienen Meer damit. Jetzt liegen die Boote, die der Künstler wie farbige Glasgefäße geschaffen hat, trist und scheinbar nutzlos auf Grund. Oben, in der Luft, "schweben" Fische. In ihrer Skeletthaftigkeit wirken sie wie Tote, wie Wesen aus der Unterwelt. Wunderlich hat die abstrakten Objekte aus Gussglas gearbeitet und beweglich aufgehängt. Die Unterwelt ist aufgestiegen. Boote, die gleichsam für Sicherheit und Leben stehen, liegen als Wracks auf dem tiefen Grund des Styx. "Unsere Werte haben sich verkehrt", konstatiert der Künstler und fragt: "Wohin sind wir unterwegs?"

Winfried W. Wunderlich, Jahrgang 1951, wurde im vergangenen Jahr im Rahmen der 7. Höhler Biennale in Gera mit dem Deutschen Installationspreis ausgezeichnet. Er ist ein Allround-Künstler: Diplom-Designer, Glaskünstler mit eigenem Glasstudio, Bildhauer, Maler und Grafiker, beschäftigt sich mit Kunst am Bau, mit Innenarchitektur und Architektur. Höhlen sind seine Passion: "Höhlen spiegeln in der Entwicklung der menschlichen Kultur das Spannungsfeld zwischen Geborgenheit und Phobie", erklärt er.

Dazu passt das zweite Objekt, das er im Keller an der Schwedenstraße zeigt. Es trägt den Titel "Die Enge der Leichtigkeit des Seins". Hier hat er schmale Glasflächen mit figurativen Tiefgravuren versehen. Die Beleuchtung lässt ausschließlich die Gravur erstrahlen. Die holzschnittartig dargestellten Körper scheinen zu schweben. Doch die Leichtigkeit des Schwebens wird durch die zwanghafte Haltung der Figuren in Frage gestellt. Die Figuren fliegen nicht frei durch den Raum. Sie sind gefangen und wollen sich mit jeder Drehung und Wendung, die ihnen in der Enge nur irgendwie möglich ist, befreien.

Wunderlich bezieht seine Inspirationen aus der griechischen Mythologie. Er schafft mit seinen Installationen Momentaufnahmen. Es scheint, als habe er bei einem Film unvermittelt auf die Stopp-Taste gedrückt. Der Inhalt des Films ist das Leben aus der subjektiven Sicht des Künstlers. Bewegungsabläufe werden mitten im Geschehen für den Bruchteil eines Augenblicks "eingefroren". Gebannt in Glas.

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