Kronach Von stürmischen Zeiten auf dem Kirchbühl

Alexander Grahl

Heute ist es ein friedlicher Ort. Fast nichts mehr erinnert an die absurde Religionsfehde, die sich einst über der fürstbischöflich-markgräflichen Grenzregion entlud. Und auch Kyrill scheint vergessen.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Seibelsdorf/Wallenfels - Wer den Frankenweg vom Rodachtal zur Radspitze wandert, gelangt auf den Kirchbühl und genießt die himmlische Ruhe an der kleinen Waldkapelle. Nichts mehr erinnert an die Stürme jener Zeit, die über die ehemalige Ansiedlung an der Markgräflichen Höhe hinweggefegt sind:

Protokolle und Niederschriften aus den Archiven jener Zeit erzählen von einer heute kaum mehr bekannten Tragikkomödie.

Man schrieb das Jahr 1700. Auf dem Kirchbühl wohnten zwei Bauern namens Wunder und Engelhard. Sie lebten in Frieden nebeneinander, obgleich sie verschiedenen Konfessionen angehörten. Auch störte es dem Engelhard vom oberen Hof nicht, dass er politisch zum hochfürstlichen Amt Wallenfels gehörte, aber als evangelischer Christ nach einem Vertrag von 1650 die kirchlichen Stolgebühren an die evangelische Pfarrei Seibelsdorf entrichten musste. Nach der Gegenreformation versuchte die eine Seite, ihre ehemaligen "Schäfchen" wieder für sich zu gewinnen, während man auf der anderen Seite jeden Versuch dieser Art mit Misstrauen beäugte.

Im Jahr 1705 wollte der betuchte Witwer Engelhard die Nachbarstochter des Bauern Wunder vom unteren Hof heiraten. Die Hochzeit wurde auf den 25. August 1705 festgelegt. Die Trauung sollte in der katholischen Pfarrkirche Sankt Leonhard zu Zeyern stattfinden, im Gebiet des gefürchteten Vogts Johann Georg Göppner zu Wallenfels-Anhalten.

Das allerdings erregte den Unmut des Seibelsdorfer Pfarrers, der dadurch die Felle für die evangelische Pfarrei Seibelsdorf davonschwimmen sah. Kurz entschlossen schrieb er mit dem Vogt Speckner zu Seibelsdorf einen Brief an die Hofratsstube zu Kulmbach mit der Bitte, man möge ihm 70 Soldaten aus dem königlich-preußischen Verteidigungstrupp schicken, da die Eheschließung in Zeyern widerrechtlich sei und diese nötigenfalls mit Waffengewalt nach Seibelsdorf erzwungen werden müsse.

Der Markgraf von Kulmbach aber hielt diesen Vorschlag für wenig diplomatisch. Er ließ aber den Vogt anweisen, "fleißig Kundschaft zu tun und den Engelhard mit Behutsamkeit ständig beobachten zu lassen. Möge man aber bemerken, dass sich die Braut vom unteren zum oberen Hofe begebe und sich dort aufhalte, so sollen beide ergriffen und nach Seibelsdorf geführt werden. Dort könnte man sie verehelichen und es ihnen gestatten, im Wirtshause daselbst eine kleine Mahlzeit zu halten."

Am 24. August, also einen Tag vor der Hochzeit meldeten Kundschafter dem Vogt Speckner, dass sich die Braut auf dem oberen Hof aufhalte. Der Vogt versammelte sogleich Musketiere aus Seibelsdorf, Waldbuch und Mittelberg, die unter seinem Kommando den Kirchbühl hinaufstiegen, sich im Wald verschanzten und den oberen Hof observierten. Doch groß war ihr Erstaunen, als sie gewahrten, dass dieser bereits mit hundert "Ausschüssern" des Vogtes von Wallenfels besetzt war. Zum "Abtreiben" der Feindesmacht hatte der Seibelsdorfer Vogt noch keine Anweisung. Und weil er eh "mit seiner schwachen Mannschaft zu schwach war", zog er sich tiefer in den Wald zurück.

Und das war gut so. Denn nicht nur die Wallenfelser Streitmacht war aufmarschiert, sondern auch von der Festung Rosenberg zu Kronach waren Truppen herbeigeeilt. Der Obrist höchstselbst mit einem Oberoffizier und dem Tambour war auf hochfürstlichen Befehl von Bamberg mit 60 Mann angerückt, nachdem der Wallenfelser Vogt dorthin gemeldet hatte, dass die Kulmbacher Dragoner vorhätten, den Hof des Engelhard zu überfallen, die Hochzeitsgesellschaft zu verhaften und nach Kulmbach zu überführen.

Am Morgen des Hochzeitstages schickte man dem Pfarrer und dem Vogt von Seibelsdorf einen Boten mit der Nachricht, "dass der Kirchbühl nach Zeyern gehöre und die Trauung daselbst rechtmäßig sei. Wüssten sie es anders, so mögen beide kommen und das Gegenteil beweisen". Die Seibelsdorfer verwiesen ihrerseits auf den Vertrag von 1650, wonach der obere Hof nach Seibelsdorf "pfarre" und die Verehelichung zu Zeyern widerrechtlich sei. Der Bräutigam wurde nochmals eindringlich ermahnt, den Kirchentribut ohne Widerrede nach Seibelsdorf zu entrichten. Falls er dieser Aufforderung nicht nachkomme, könne er sich nur dadurch schützen, dass der Vogt von Wallenfels den oberen Hof das ganze Jahr über mit seinem "Ausschuss" besetzt halte.

Nachdem die äußere Sicherheit gewährleistet war, zog am Nachmittag die Hochzeitsgesellschaft unter Begleitschutz den "Markgrafenweg" hinunter nach Zeyern. Glockengeläut und Böllerschüsse kündeten weithin vom spektakulären Ereignis. Der kirchlichen Hochzeitszeremonie folgten ausgelassene Hochzeitfestivitäten mit Musik und Tanz im "Goldenen Löwen". Als man im Morgengrauen die Eheleute endlich wohlbehalten auf den Kirchbühl zurückbrachte, verließen auch die letzten Soldaten der "Bamberger" und "Brandenburger" den "brandgefährlichen" Einsatzort.

Der Vogt von Seibelsdorf allerdings sah sich veranlasst, dem Markgrafen zu berichten, dass die Wallenfelser Soldaten beim Abzug unbefugt den Vichtacher Berg und damit das Brandenburger Gebiet benutzen. Dieser "Frevel" müsse nebst der widerrechtlichen Hochzeit als "Attentat" bestraft werden. Die Brandenburger Seite stellte ob dieser "gravierenden Fehltritte" dem Engelhard eine Rechnung über sechs Gulden.

Von Bamberger Seite reagierte man schon gar nicht mehr auf solche Forderungen. Spätestens jetzt musste der eigenwillige Advokat Speckner seine Ohnmacht eingestehen und er-kennen, dass der clevere Engelhard sich hüten werde, so schnell wieder Seibelsdorfer Flur zu betreten. Ihn aber auf Bamberger Gebiet zu stellen, um die klingenden Silbermünzen einzutreiben, war doch zu waghalsig. Nur zu gut kannte er seinen "hochverehrten, lieben und getreuen Nachbarn", den draufgängerischen Vogt Johann Georg Göppner zu Wallenfels-Anhalten, mit dem "nicht gut Kirschen essen war". Und so endet die Geschichte "wie’s Schießen zu Hornberg, und mussten abziehen mit langer Nase".

Höllenspektakel statt Wetterleuchten verursachte dann allerdings "Kyrill" im Jahr 2007. In der Nacht vom 18. auf den 19. Januar raste er als Orkan mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 180 Stundenkilometern über die Höhen des Frankenwaldes hinweg und hinterließ eine Spur der Verwüstung. Der stolze Hochwald auf der ehemaligen Ansiedlung Kirchbühl zwischen Radspitze und Markgrafenhöhe wurde dem Erdboden gleichgemacht. Es grenzt an ein Wunder, dass die Kirchbühlkapelle verschont blieb, als die mächtigen Baumstämme ringsum niederkrachten und selbst noch beim Fallen die Richtung veränderten. Es schien, als wären in dieser Schreckensnacht die Seelen der Ahnen in ihre alte Heimat, jenem gottgefälligen Ort zwischen Himmel und Erde zurückgekehrt, um die Waldkapelle zu retten.

Bilder