Auf ein Wort Schlagzeilen um jeden Preis

Es ist ein Fall, den man sich gar nicht schlimmer vorstellen könnte: In Solingen steht eine Mutter in Verdacht, fünf ihrer Kinder getötet zu haben. Ein Suizidversuch scheitert - und der einzige überlebende Sohn, ein Elfjähriger, bekommt vieles davon mit.

 
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Und weil sich der Junge in seiner Not mitteilen will, sucht er den Kontakt zu ihm nahestehenden Personen. Doch diese Unterhaltung bleibt nicht im Bereich der Privatsphäre, vielmehr werden Telefon- oder Briefgeheimnis gebrochen. Der private Chat findet sich auf der Online-Plattform einer großen deutschen Boulevard-Zeitung sowie bei RTL wieder. Beide Medien zitieren aus den privaten Whatsapp-Nachrichten des Jungen. Und nicht nur das: Bild.de zeigt zudem unverpixelte Bilder des zwölfjährigen Freundes des Opfers. Ein unglaublicher Vorgang, ein Medien-Skandal dazu.

Das Netz reagiert: Ein wahrer Shitstorm bricht im Internet und vor allem via Twitter los. Es hagelt Kritik und Beschimpfungen. In der Tat hat der Boulevard mal wieder die Regeln des Pressekodex ignoriert. In der Richtlinie 4.2 wird "besondere Zurückhaltung" eingefordert, wenn es um schutzbedürftige Personen geht. Dazu gehören Kinder und Jugendliche, aber auch Menschen in seelischen Ausnahmesituationen. Das alles trifft bei dem Elfjährigen zu. Er hat Opferschutz zu erwarten, nicht das sensationsheischende Breittreten in der Öffentlichkeit. Das ist ethisch nicht in Ordnung.

Das Boulevard-Blatt reagiert darauf: Der Bericht über die Whatsapp-Nachrichten wird modifiziert. Die Geschichte habe RTL aufgebracht, heißt es aus dem Hause Springer. "Bild" habe "diese mit dem ausdrücklichen Einverständnis und Entscheidung der Mutter, wie auch in dem Beitrag explizit dokumentiert, ebenfalls übernommen, was wir bedauern", teilte die Zeitung am Montag auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) in Berlin mit. Seitens RTL teilt demnach ein Sendersprecher mit, sein Haus bedauere, "dass in einer ersten Fassung direkt aus einer Text-Nachricht des Jungen zitiert wurde".

Beim deutschen Presserat gingen inzwischen zig Beschwerden ein. Eine öffentliche Rüge ist "Bild" vermutlich ziemlich sicher. Doch erfahrungsgemäß verpfuffen diese im Hause Springer fast ohne Wirkung. Für RTL ist der Presserat indes gar nicht zuständig: Er kümmert sich um Verlage, nicht um private oder sonstige TV-Sender. Kerstin Dolde

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