Dhaka Kleiner Sieg für Asiens Transgender

Jahrhundertelang waren sie wichtiger Teil der Kultur Südasiens. Doch heute führen Transgender-Personen dort eine Existenz am Rand der Gesellschaft. Eine neue - konservative - Schule könnte das nun ändern.

 
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Dhaka - Sie wirken schrill, kleiden sich auffällig und mancher fürchtet sogar die Begegnung mit ihnen: Transgender-Personen, auch Hijras genannt, sind eine mythenumrankte und zugleich verachtete Minderheit in Südasien. Man sieht sie vor allem in Zügen, auf Altstadtbasaren oder in den Slums der Großstädte von Neu-Delhi bis Kathmandu. Hijras sind Menschen, die oft vereinfacht als Eunuchen oder Transvestiten bezeichnet werden.

Inzwischen ist auch der Oberbegriff Transgender geläufig - wenngleich die Erklärung komplexer ist. Vor allem aber haben sie eines gemein: Sie werden ausgegrenzt und leben am Rand der Gesellschaft. Eine Ankündigung aus Bangladesch kommt daher nun einer Sensation gleich: In dem mehrheitlich muslimischen und konservativen Land öffnet die erste Koranschule für Hijras jeden Alters, wie die Zeitung "Dhaka Tribune" zuerst berichtete. Die Bildungseinrichtung mit dem Namen "Dawatul Quran Third Gender Madrasa" solle ihren Schülerinnen helfen, besser in die Gesellschaft integriert zu werden, sagte der Gründer Abdur Rahman Azad bei der Eröffnung in der Hauptstadt Dhaka.

Die Nachricht ist gleich doppelt sensationell: Das Land selbst setzt mit der Transgender-Schule ein weiteres Zeichen zur Anerkennung dieser Menschen. Zugleich dürfte gerade die Tatsache, dass es sich um eine muslimische Koranschule (Arabisch: Madrasa) handelt, weit über die Region hinaus in der ganzen muslimischen Welt für Aufsehen sorgen. Denn Madrasas sind in der Regel für ihre konservativen und traditionalistischen Haltungen bekannt. Außerhalb arabischer Länder wie etwa Bangladesch lernen Kindern dort ungeachtet ihrer Muttersprache arabische Koranverse auswendig, um sie rezitieren zu können. Oft sind die Schulen Zufluchtsort für Kinder aus Familien in Armut - weil viele kostenlosen Unterricht und Mahlzeiten bieten.

Außergewöhnlich ist das Ganze auch, weil Hijras eher im Zusammenhang mit dem Hinduismus in Südasien eine Rolle spielen. In der jahrtausendealten Hindu-Mythologie waren sie stets eine bedeutende gesellschaftliche Gruppe. Sogar die Darstellungen von Gottheiten sind intergeschlechtlich. Dieses Wort macht vielleicht am ehesten deutlich, was Hijras eigentlich genau sind: ein drittes Geschlecht, weder typisch männlich noch explizit weiblich. In vielen Fällen handelt es sich um Menschen mit männlichen Geschlechtsmerkmalen, die im Zuge ihrer Entwicklung ein traditionelles Kastrationsritual unterlaufen. In einigen Fällen lassen sich aber tatsächlich bereits die angeborenen Geschlechtsmerkmale weder als männlich noch als weiblich einordnen.

Mit der Kolonialisierung des indischen Subkontinents durch die Briten im 17. und 18. Jahrhundert änderte sich die Wahrnehmung von Hijras allerdings. Sie wurden kriminalisiert und aufgrund der von den Briten eingeführten Gesetzen gegen homosexuelle Handlungen verfolgt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Bis heute.

Die Betroffenen werden oft früh von den eigenen Familien verstoßen und schließen sich Hijra-Gemeinschaften in größeren Städten an. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Schätzungen zufolge leben allein zwischen 50 000 und 100 00 von ihnen in Bangladesch, die meisten davon in Städten - und in Armut. Viele Betroffene können ihren Lebensunterhalt nur mit Prostitution bestreiten, sie erfüllen aber auch gesellschaftliche Aufgaben - ein Relikt längst vergangener Zeiten: Zur Geburt von Kindern, bei Hochzeiten und Hauseinweihungen besuchen Hijra-Gruppen die Familien und segnen sie.

Es ist ein großes gesellschaftliches Paradoxon. Menschen nehmen die Dienste an, verabscheuen die Transgender-Personen aber. Mancher steckt ihnen allein aus Angst Münzen und Geldscheine zu, wenn sie durch die Straßen ziehen und betteln. Weil ein Aberglaube besagt, dass Hijras sich sonst vor dem Knauser entblößen und ihn mit einem Fluch belegen.

Die gesellschaftliche Ablehnung von Transgender-Menschen zeigt sich auch anders: Lange gestattete ihnen kaum eine Bank, ein Konto zu führen; eine Wohnung zu mieten wurde von Hausbesitzern fast nie erlaubt. Dagegen kämpfen seit Jahren Organisationen wie Badhan Hijra Sangra (BHS). Sie unterstützen Betroffene etwa mit Gesundheitsvorsorge und streiten für politische Anerkennung. Offiziell sogar mit großem Erfolg: Bangladesch hat 2013 ein "drittes Geschlecht" als Kategorie eingeführt. In Pakistan stellte sich vor zwei Jahren sogar eine Hijra zur Parlamentswahl.

Aktivisten beklagen jedoch nach wie vor, dass das im Alltag der Menschen im Grunde kaum etwas ändert. Vor allem im Bildungsbereich würden Transgender-Personen weiterhin diskriminiert, erklärt die Organisation BHS. Wenn sich die Identität von Hijras, in der Regel nach dem Grundschulalter, mehr und mehr offenbart, würden sie von Schulen ausgeschlossen. Die Folge: Die meisten bleiben Analphabeten und haben allein deshalb kaum eine Chance, etwas an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu ändern.

Bis jetzt vielleicht. Denn in der neuen Koran-Schule in Dhaka werden die Transgender-Schülerinnen nicht nur den Koran lesen und über den Islam lernen. Auch Bengalisch, Englisch und Mathematik stehen auf dem Stundenplan. Der Schulbesuch soll kostenlos sein. Zudem sollen die Schülerinnen eine Berufsbildung erhalten. Alles in muslimischer Tradition. Denn wie Abdul Aziz Hossaini, einer der zehn Lehrer der Schule, erklärt: "Hijras sind auch ein Teil der Schöpfung Allahs, und wir haben eine moralische Pflicht, sie zu bilden."

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