Länderspiegel "Beim Kinderschutz gibt es keine Kompromisse"

Interview: mit Winfried Bausback, CSU; Justizminister Bayern Quelle: Unbekannt

Bayerns Justizminister Bausback fordert seit Langem die Annullierung von Kinderehen. Nun haben sich die Koalitionsspitzen geeinigt, ein Gesetz auf den Weg zu bringen.

 
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Herr Staatsminister, Sie haben den Stein ins Rollen gebracht. Ehen von Kindern unter 16 Jahren sollen in Deutschland künftig nichtig sein. Darauf haben sich die Koalitionsspitzen jetzt festgelegt. Eine Lösung nach Wunsch?

Ich habe in vielen Gesprächen - auch in Berlin - von Anfang an und immer wieder gefordert: Im Ausland geschlossene Kinderehen von unter 16-Jährigen müssen von Anfang an null und nichtig sein! Es ist daher gut, dass dieser Weg jetzt auch in Berlin eingeschlagen wurde. Er ist schlicht die beste Lösung, denn: Nur die sofortige Nichtigkeit führt dazu, dass wir keine langwierigen Aufhebungsverfahren brauchen, sondern die betroffenen Mädchen sofort und unmittelbar schützen können.

Sehen Sie sich jetzt am Ziel?

Am Ziel sind wir natürlich erst, wenn das auch tatsächlich so im Bundesgesetzblatt steht. Hier werde ich selbstverständlich am Ball bleiben und alles dafür tun, dass dies schnellstmöglich geschieht.

War das ein hartes Stück Arbeit in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe?

Wir haben uns stets konstruktiv und mit vielen eigenen Vorschlägen in die Arbeitsgruppe eingebracht. Und was man auch nicht vergessen darf: Wir in Bayern haben erst dafür gesorgt, dass sich der Bundesjustizminister überhaupt der Problematik bewusst wurde und die Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt hat. Ohne uns wären die Gerichte auch künftig mit schwierigen Einzelfallabwägungen alleingelassen, ob eine im Ausland geschlossene Ehe mit unter 16-jährigen Mädchen in Deutschland anerkannt werden kann oder nicht.

Ehemündigkeit soll künftig mit 18 Jahren gelten. Erklären Sie bitte, wie das Gesetz in der Praxis umgesetzt werden wird. Wird es Ausnahmen geben? Wenn ja, welche?

Bei der generellen Anhebung der sogenannten Ehemündigkeit auf 18 Jahre geht es vor allem auch um Fälle, bei denen - anders als in den Fällen, über die wir gerade gesprochen haben - kein Auslandsbezug besteht. Wenn das so Gesetz wird, sind künftig bestimmte Ausnahmen, bei denen nach geltendem Recht die Ehe mit Genehmigung des Familiengerichts schon ab 16 Jahren geschlossen werden konnte, nicht mehr möglich.

Mit dem Annullieren von Kinderehen greift der Staat in sehr familiäre Dinge ein: Wenn ein Mädchen in Syrien mit 14 verheiratet wird, dann ist es bei Grenzübertritt geschieden, vielleicht sogar ledige Mutter?

Für mich ist ganz klar: Die Nichtigkeitslösung schützt das Kindeswohl am besten. Und hierauf kommt es an! Der zum Teil vorgebrachte Einwand, die Nichtigkeit könne junge Frauen im Einzelfall ins soziale Abseits drängen, überzeugt mich überhaupt nicht. Wenn Minderjährige gegebenenfalls durch das Jugendamt in Obhut genommen werden, kann man wohl kaum von "sozialem Abseits" sprechen. Im Gegenteil: Häufig wird den betroffenen Mädchen auf diese Weise überhaupt erst der Weg in die Integration ermöglicht!

Es gibt Fälle, da bestimmt die Familie den Ehemann des Mädchens als Vormund. Können Sie das künftig ausschließen?

Dadurch, dass im Ausland geschlossene Kinderehen von unter 16-Jährigen mit dem Grenzübertritt künftig nichtig sind, stehen die Minderjährigen - wie alle anderen Kinder auch - in vollem Umfang unter elterlicher Sorge. Wenn sie deshalb ohne eine sorgeberechtigte Person - und das sind allein die Eltern - nach Deutschland einreisen, wird ihnen vom Familiengericht ein Vormund bestellt. Das Gericht muss dabei eine geeignete Person auswählen. Dies können zum Beispiel berufliche Vormünder, ehrenamtliche Helfer, spezielle Vereine oder auch das Jugendamt sein. Die Familie des Kindes kann dabei keine verbindlichen Vorgaben zur Auswahl des Vormunds machen. Den "Ehemann" des Mädchens wird man nicht als geeignete Person ansehen können, da eine der Aufgaben des Vormunds ja gerade darin bestehen wird, die jungen Mädchen zu ihrem Schutz von ihrem "Ehemann" zu trennen.

Wird das Gesetz noch in dieser Legislatur-Periode umgesetzt werden können? Und, was ist, falls nicht.?

Wie gesagt: Ich werde alles daran setzen, dass die jetzt getroffene, längst überfällige Einigung schleunigst geltendes Recht wird - dieser nicht nur für die betroffenen Mädchen unerträgliche Schwebezustand muss schnellstmöglich ein Ende haben.

Der Deutsche Anwaltsverein hat eine solche Gesetzesänderung als "Rechts-Kolonialismus" kritisiert. Was sagen Sie zu einem solchen Vorwurf?

Das ist meiner Meinung nach billige Polemik, die der Deutsche Anwaltverein nicht nötig hat. Bei der Nichtigkeit von im Ausland geschlossenen Ehen von unter 16-Jährigen geht es um den verfassungsrechtlich gebotenen Kinderschutz. Hier kann es keine Kompromisse geben. Zudem brauchen wir das klare Signal: Unsere fundamentalen Werte, insbesondere unser Verständnis von Menschenwürde und Freiheit, stehen keinesfalls zur Disposition und lassen sich nicht relativieren!

Das Gespräch führte Kerstin Dolde

Gut zu wissen

In Deutschland gibt es rund 1475 staatlich registrierte Kinderehen, davon fast 400 Ehen mit Kindern, Mädchen, unter 14 Jahren.

Mit 664 Fällen stellen syrische Staatsangehörige die größte Gruppe bei den Frühverheirateten.

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