Bayreuth - Gut möglich, dass das Fall Guttenberg nur der Vorbote einer ganzen Welle ist, die auf die Universitäten zurollt. Das befürchtet zumindest Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berliner Humboldt-Universität. Bei einer Tagung an der Uni Bayreuth, bei der es um "Plagiate, Wissenschaftsethik und geistiges Eigentum" ging, legte Kurz dar, dass sie einen Wandel in der Haltung der Studenten beobachtet habe. Viele hielten es für ein Kavaliersdelikt, wissenschaftliche Arbeiten auch einmal aus dem Internet zusammenzukopieren.

Immerhin kommen die Studenten in diesem Punkt gut vorbereitet an die Unis. Schon an den Schulen ist der Wikipedia-Artikel das Rückgrat so manchen Referats. Für den Bayreuther Professor Ansgar Ohly, einen der Organisatoren der Tagung, muss daher die Plagiatsbekämpfung an den Schulen beginnen. Hier müssten die Grundlagen guten wissenschaftlichen Arbeitens gelegt werden.

In Bayreuth wurde zwei Tage lang darüber diskutiert, was man gegen den Betrug in der Wissenschaft tun kann, und was andere Hochschulen dagegen tun.

Von Prüfprogrammen zur Entdeckung von Plagiaten war dort die Rede - und von Gegen-Programmen, die diese Prüfung in die Irre führen. Falls man überhaupt Programme dazu braucht: Karl-Theodor zu Guttenberg hat in seinem Zeit-Interview darauf hingewiesen, dass er seine Doktorarbeit jederzeit so hätte gestalten können, dass seine Plagiate gar nicht aufgefallen wären.

Allerdings würde er heute die Gelegenheit gar nicht mehr bekommen: Seine Examensnote wäre einfach zu schlecht, um heute noch in Bayreuth zu promovieren. Außerdem käme er juristisch nicht mehr billig mit einem Verfahren wegen des Verstoßes nach dem Urheberrecht weg. Wer heute in Bayreuth eine Doktorarbeit abliefert, muss auch eine eidesstattliche Versicherung über die redliche Anfertigung abgeben.

Die Tagung öffnete vor allem aber einen Blick auf jene Zustände in den Universitäten, die dem wissenschaftlichen Betrug Vorschub leisten. Wer als Wissenschaftler nach oben kommen möchte, der muss vor allem publizieren; die Zahl der Veröffentlichungen entscheidet über die Karriere.

Verhängnisvoll ist das vor allem in den Naturwissenschaften. Der Heidelberger Professor Jochen Tröger präsentierte eine Umfrage, wonach ein Drittel aller Forscher schon einmal Erfahrungen mit wissenschaftlichem Fehlverhalten gesammelt hat. Die Erscheinungsformen sind vielfältig: Da erscheinen Mitautoren, die an den betreffenden Studien überhaupt nicht beteiligt waren. Versuchsreihen werden gefälscht, Primärdaten einfach gelöscht, um das Nachprüfen zu behindern.

Verhängnisvoll sind vor allem die Machtverhältnisse in den Forschungsgruppen: In der Regel sind es die Chefs, die betrügen oder ihre Mitarbeiter um die Früchte ihrer Arbeit bringen. Bei der Aufdeckung solchen Fehlverhaltens sei die Wissenschaftsszene ausgesprochen träge, urteilt Tröger. "Die jungen Leute gehen da regelrecht durch eine Marter."

Geschädigt wird aber auch die Öffentlichkeit, zum Beispiel dann, wenn Steuermillionen in Forschungsprogramme fließen, die auf gefälschten oder geschönten Daten beruhen. Die deutsche Medizin wurde in diesem Jahr durch einen Forschungsskandal mit den Blutplasmaersatzstoff HES erschüttert. Der Stoff fährt an Bord jeden Rettungswagens mit. Ob er dorthin gehört, ist zumindest fraglich: Der deutsche Mediziner Joachim Boldt, der sich besonders für HES eingesetzt hatte, wurde aller Ämter enthoben. Für seine Behauptungen fanden sich keinerlei Labor- und Patientendaten.

In den Geistes- und Rechtswissenschaften geht es wenigstens nicht um Tod und Leben, wenn betrogen wird. Viele der gezinkten oder plagiierten Arbeiten gingen einfach in dem "gleichmäßig fließenden Textbetrieb" der Hochschulen unter, tröstete der Philosoph Peter Sloterdijk in Bayreuth. Der grandiose Spötter nahm sich der "vereinsamten Texte" an. Die meisten Autoren könnten sich vollkommen darauf verlassen, dass sie auf immer mit ihrem Text allein bleiben werden. 98 bis 99 Prozent aller akademischen Texte würden in der Erwartung des Nichtlesens geschrieben. Autoren, die es nicht ganz so genau nehmen, gäben dem Nichtleser also genau das, was ihm gebührt. Sloterdijk wörtlich: "In diesem System führt die reale Lektüre zur Katastrophe."

Als ein Kavaliersdelikt möchte Sloterdijk das Plagiat dennoch nicht verstanden wissen. Er findet es nicht schlecht, dass es in Form von Computerprogrammen nun "elektronische Wächter" gebe, die den ungelesenen Texten "die Aufmerksamkeit des Lesens androhen".

Hat der Fall Guttenberg nun doch sein Gutes gehabt? Gibt es nun dank besserer Kontrollen mehr Wahrhaftigkeit und Originalität in der Wissenschaft? Constanze Kurz ist da sehr skeptisch. In einer Podiumsdiskussion sagte die Wissenschaftlerin: "Wer nichts zu sagen hat, aber dennoch publizieren muss, der wird auch weiterhin plagiieren."

Kontrahenten

Freunde werden sie wohl nicht mehr: Karl-Theodor zu Guttenberg und Oliver Lepsius. Der Bayreuther Juraprofessor und Nachfolger von Guttenbergs Doktorvater Häberle war es, der den Politiker im Februar zu bester Fernsehzeit offen als Betrüger bezeichnet hatte. Von da an war klar, dass Guttenberg nicht mehr zu halten war. Er habe viele Mails bekommen, "die ich direkt an die Staatsanwaltschaft hätte weiterleiten können", erinnert sich Lepsius im Gespräch mit unserer Zeitung.

Guttenberg hat ihm den Auftritt nicht vergessen. Der Vorwurf sei "nicht von großer Kunstfertigkeit" attackiert er Lepsius in seinem Zeit-Interview. Jeder Jurist hätte erkennen können, dass von Betrug im strafrechtlichen Sinne nicht die Rede sein könne. Lepsius kontert ziemlich kühl: Es gebe ja wohl auch noch die Kriterien des Anstands. Der Süddeutschen Zeitung sagte er: "Nicht alles, was unanständig ist, ist strafbar."