Lichtenberg/München - "Es ist ein Roman." Friedrich Ani wird nicht müde, das immer wieder zu betonen. "Totsein verjährt nicht" heißt der neue Krimi des renommierten Münchner Schriftstellers. Er weist frappierende Parallelen zu einem wahren Geschehen auf: dem Kriminalfall der seit Mai 2001 verschwundenen Peggy Knobloch aus Lichtenberg.

Im Buch heißt Peggy Scarlett und wohnt im Münchner Stadtteil Ramersdorf. Ein neunjähriges Mädchen, das eines Tages auf dem Heimweg von der Schule verschwindet, als wäre es vom Erdboden verschluckt worden. Groß angelegte Suchaktionen verlaufen ergebnislos, eine vielköpfige Sonderkommission sammelt Hunderte von Hinweisen. Soko-Chef ist Kriminalhauptkommissar Polonius Fischer, Friedrich Anis Held.

Fischer ermittelt akribisch, bleibt aber ohne Erfolg. Auf Weisung des Innenministers wird er abgelöst, eine neue Soko eingesetzt - sie präsentiert verblüffend schnell einen Täter: den geistig zurückgebliebenen Jockel Krumbholz, einen Gastwirtssohn aus der Nachbarschaft. Unter massivem Druck der Polizei gesteht Jockel, Scarlett ermordet zu haben. Kurz darauf widerruft er, doch ein Gutachter befindet das Geständnis für authentisch. Auf dieser Basis wird Jockel Krumbholz verurteilt: lebenslange Haft.

Dunkle Charaktere

Diese Ausgangslage deckt sich exakt mit den Ereignissen in Lichtenberg. Doch Friedrich Ani wehrt ab: "Ich habe den Fall ,Peggy' als Hintergrund für mein Buch gewählt, das stimmt. Aber im Vordergrund steht die fiktionale Roman-Handlung." Ganz bewusst habe er den Fall, der vor gut acht Jahren bundesweites Aufsehen erregte, aus Oberfranken nach München verlegt. Keine Figur sei eins zu eins übernommen, sagt Ani, "auch nicht eins zu zwei oder eins zu fünf". Aber: "Natürlich gibt es da Echos aus der Wirklichkeit."

Gesammelt hatte Ani das Material schon seit Jahren. "Für meinen vorerst letzten Roman mit Polonius Fischer habe ich alles gesichtet und entschieden: Es ist jetzt an der Zeit, das zu machen." Gerade die Rückkehr eines alten, für ihn ungelösten Falles empfand Ani als "gute Herausforderung" für seinen altgedienten Ermittler.

Fischer ist in einer emotionalen Ausnahmesituation: Seine Freundin liegt nach einem brutalen Überfall im Koma. Da wird er plötzlich damit konfrontiert, dass ein früherer Schulfreund Scarlett gesehen haben will. Sitzt also Jockel unschuldig im Gefängnis? Gegen den Widerstand seiner Vorgesetzten geht Polonius Fischer der Sache nach. "Er macht Dinge", befindet Friedrich Ani, "die für einen respektablen Kommissar völlig unüblich sind. Aber: Er kann nicht mehr aus. Dieser Fall reißt ihn mit wie eine Lawine."

Der frühere Benediktinermönch im Dienst der Mordkommission ist einer, "der was versteht von den Dingen zwischen Leben und Tod - und vielleicht sogar darüber hinaus". Irritiert reagiert er aber auf das leere Grab, das die Mutter für das verschwundene Mädchen anlegen ließ. Und verwundert spürt er einen "heiligen Zorn" in sich.

Für den Leser, der Kommissar Fischer durch das Buch begleitet, ist das nicht immer angenehm. Anis Beschreibungen gehen tief, sind von schonungslosem Realismus, seine Charaktere tragen eine Dunkelheit in sich, die erschreckt. "Das ist schon recht so", sagt der Autor, "mein Personal kommt halt von der anderen Seite der Nacht."

Spielfilm geplant

Nach fast 300 Seiten hat Polonius Fischer den mysteriösen Fall gelöst. Trotzdem: Die Welt der Roman-Figuren ist nach wie vor nicht in Ordnung. Wie die reale Welt.

Friedrich Ani wird der Fall "Peggy" auch jetzt nicht loslassen, obwohl sein fertiger Krimi nun in den Regalen der Buchhandlungen steht: Er plant - gemeinsam mit seiner Freundin, der Münchner Journalistin Ina Jung, und dem Regisseur Dominik Graf - fürs Fernsehen einen Spielfilm, verknüpft mit einer Dokumentation. Dann sind sie erneut zu hören, die Echos aus der Wirklichkeit.