Länderspiegel "Tag der Demokratie" in Mödlareuth: Nur ein bisschen Einheit

Auf der Streuobstwiese geht der Punk ab, bei der AfD köchelt das Sauerkraut: Szenen vom 3. Oktober, an dem man in Mödlareuth vieles feiert, zuweilen sogar die Wiedervereinigung.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Mödlareuth - Auf der Bühne steht eine junge Frau. Sie trägt ein knielanges Kleid mit Schachbrettmuster, eine enge schwarze Hose und ein rosafarbenes Kopftuch. Ihr Blick wechselt zwischen den Zuhörern, die sich vor einem kleinen Podest unter Obstbäumen versammelt haben, und einem leeren Fleck auf dem Rasen. Sie erzählt von ihrem Leben in Syrien, besser gesagt von ihrer Flucht von dort. Davon, wie froh sie ist, in Deutschland leben zu können.

Die Pausen zwischen ihren Worten erscheinen ein wenig zu lang. Sobald diese ihre dezent geschminkten Lippen verlassen, drücken sie jedoch präzise aus, was viele sich nicht vorstellen mögen. " ... und deshalb bin ich froh, in einem Land leben zu dürfen, in dem jeder seine Meinung sagen darf, ohne dafür eingesperrt zu werden", gelingt der jungen Syrerin noch zu sagen - bevor ihre Worte vom wuchtigen Klang der Bläser übertönt werden, die einige Hundert Meter weiter die Nationalhymne anstimmen.

Seit 30 Jahren feiern CDU und CSU die Wiedervereinigung mit ihrem "Deutschlandfest" in Mödlareuth. Bis auf dieses Jahr, die CSU hatte es wenige Tage zuvor abgesagt. "Die Pandemie-Lage und der Schutz der Gesundheit lässt es nicht zu, eine Festveranstaltung mit Bierzelt und Blasmusik durchzuführen", heißt es in der dazugehörigen Pressemitteilung. Die AfD hatte weniger Bedenken und meldete ihr eigenes Deutschlandfest für den 3. Oktober an - an ebenjenem Platz, an dem sonst das Bierzelt der Union steht. Das Hofer "Bündnis für Zivilcourage", ein breites Bündnis kirchlicher und politischer Jugendverbände, meldete einen "Tag der Demokratie" an, keine fünfhundert Meter weiter auf einer Streuobstwiese. Mit der offiziellen Veranstaltung des Landkreises Hof im Bereich des Deutsch-Deutschen Museums waren den Behörden drei Veranstaltungen zum Tag der Deutschen Einheit gemeldet; jeder feierte für sich - meistens dreht es sich irgendwie aber um die AfD.

Auf der Bühne hat die junge Syrerin inzwischen ihre Rede beendet. Das Klatschen der Zuschauer ist etwas lauter, als es bei ihren Vorgängern war. Zirka 60 Menschen haben sich auf der Streuobstwiese an diesem Tag versammelt. Viele von ihnen tragen Schwarz, manche aber auch weite Stoffhosen mit bunten Mustern. Viele T-Shirts vermitteln eine politische Botschaft, "Refugees welcome" oder "FCK AFD" ist auf ihnen zu lesen. An den Stämmen der Apfelbäume lehnen Plakate aus Pappe, auf einem steht "egal woher, Blut ist immer rot" mit bunter Fingerfarbe geschrieben.

"Die Schilder sind in unserer interkulturellen Woche entstanden", erzählt Christian Schlademann. Die Augen über dem dichten Bart des Jugendbildungsreferenten der evangelischen Kirche leuchten, als er davon erzählt. Für den Bruchteil einer Sekunde hält er inne, als er gefragt wird, was Rassismus mit dem Tag der Deutschen Einheit zu tun hat. Kurz darauf antwortet er wie aus einem Guss: "In der DDR waren Grund- und Menschenrechte nur bedingt vorhanden, heute knabbern wir immer noch an demselben Problem." Heute seien die Grenzen im Kopf, meint der Sozialpädagoge. Menschen würden nicht mehr nur wegen ihres Denkens, sondern auch zunehmend wegen ihres Aussehens verfolgt. Die AfD sei jedoch nicht der Grund, warum sich das "Hofer Bündnis für Zivilcourage" gerade heute intensiv mit diesem Thema auseinandersetzt. "Die da drüben interessieren uns nicht", versichert er.

Es hämmert in den Ohren

Mödlareuth im Landkreis Hof nimmt geschichtlich eine besondere Stellung ein. Während des Kalten Krieges teilte eine Mauer das kleine Dorf in eine Ost- und eine Westhälfte. Auch heute noch verläuft an selber Stelle die Grenze zwischen Bayern und Thüringen. Schon die letzten Jahre feierte die Alternative für Deutschland parallel zu der Union ihren "Deutschlandtag" in Mödlareuth. Kritiker empfinden dies als Provokation, da sie der Partei vorwerfen, diesen geschichtsträchtigen Tag für ihre eigene politische Agenda zu missbrauchen. Wiederholt wurden Vorwürfe laut, die CSU würde sich nicht entschieden genug gegen eine Vereinnahmung des Termins durch die AfD wehren. Die so gescholtene CSU verweist wiederum darauf, dass es sich schließlich um eine politische Veranstaltung handelt, die gerichtlich nicht ohne Weiteres verboten werden darf. Vergangenes Jahr feierte deshalb die CSU in einem Bierzelt am Ortsrand ihr "Deutschlandfest", während die AfD auf der Streuobstwiese im Ortskern ihren "Deutschlandtag" abhielt. Dieses Jahr, nach der Absage der Christsozialen, sicherte sich die AfD den Platz am Ortsrand, und das "Hofer Bündnis für Zivilcourage" die Streuobstwiese. Es scheint dem politischen Tauziehen bis heute nicht entkommen zu können, dieses kleine Dörfchen mit den Kuhweiden, Ställen und stillgelegten Selbstschussanlagen. Auch nicht am Tag der Deutschen Einheit. Jetzt wird nicht mehr geschossen, um die politischen Ziele zu erreichen - die Waffen sind Tubas und E-Gitarren. Einheimischen bietet sich an diesem Nachmittag eine wahrhaft infernalische Kakofonie an Klängen, ein musikalisches "Mia san Mia", das ihnen ungefragt in die Ohren hämmert. Es trifft bajuwarische Blasmusik auf dröhnend scheppernden Punk.

Passanten, die ihren Kinderwagen vor sich her schieben oder mit ihren Nordic-Walking-Stöcken unterwegs sind, ist ihre Verwirrung anzusehen. Zwei ältere Männer sitzen in ihrem Sonntagshemd auf einer Bank und verfolgen aus sicherer Entfernung das bunte Treiben auf der Wiese. "Sind das die von der AfD?", fragt einer den anderen. "Nein, das sind die, die dagegen sind." Dreihundert Meter weiter, diesmal zu den Klängen hochfränkischer Marschmusik, zeigt sich ein ähnliches Bild. Ein Mann, Mitte 60, steht am Straßenrand und schüttelt mit dem Kopf. Die Seiten seines Strohhuts sind rot und grün bemalt, zwei Buttons sind an ihm befestigt. "Die reden wie 1933. Wenn es so weitergeht, wird es schlimm enden", sagt er und blickt skeptisch durch seine runden Brillengläser. Andere Passanten scheinen sich über die bekannten Melodien zu freuen, zögern aber, sich an den sechs Ordnern in blauen Hemden vorbei auf den Festplatz zu quetschen.

Grober Schotter, grobe Worte

Für die Veranstaltung der AfD hatten sich mehrere Redner angekündigt, allesamt Parteiprominenz aus dem Bundestag. Neben Gottfried Curio, waren dies Tobias Peterka und Corinna Miazga. Angekündigt war ursprünglich auch Stephan Brandner, der jedoch kurzfristig absagte. Ganz am Rand des mit grobem Schotter bedeckten Platzes ist ein blau-weißes Zelt aufgestellt, über dem Eingang kreuzen sich zwei Deutschlandfahnen, mehrere schwarz-rot-gelbe Ballons zieren das Dach. An einer rückseitigen Hauswand ist eine kleine Bühne aufgebaut, daneben werden an einer improvisierten Küche verschiedene Gerichte mit Sauerkraut angeboten. Alle Eingänge sind stark bewacht, teils von Polizisten in voller Montur, teils von Ordnern in blauen Hemden, die sich misstrauisch nach möglichen Angreifern umblicken. Besucher wie Veranstalter scheinen sich so weit wie möglich von der Straße fernhalten zu wollen.

Nachdem die letzten Klänge eines Heimatlieds verklungen sind, tritt Tobias Peterka auf die Bühne. "Herzlich willkommen heute zu unserem Deutschlandtag, für den wir keine Söder-mäßigen Auflagen vom Landratsamt erhalten haben." Die zirka 200 Zuschauer klatschen begeistert, als diese Worte fallen. Generell scheinen die Besucher des Deutschlandtags vor allem auf Schlagworte zu reagieren. "Lügenpresse", "Bolschewisten", "Gesinnungspolizei" - tobender Applaus. Ansonsten wirken sie eher zurückhaltend, als die Redner über Presse, EU und Behörden herziehen. Die Wiedervereinigung spielt, wenn, nur eine untergeordnete Rolle. Beispielsweise, wenn Peterka davon redet, dass der 17. Juni 1953, der Tag des Arbeiteraufstands in der DDR, sich viel eher als nationaler Feiertag eignen würde. Schließlich haben sich an diesem Tag "wahre Patrioten dem Kugelhagel der Bolschewisten" entgegengestellt. Oder wenn die Kanzlerin mit Stasi-Chef Erich Mielke verglichen wird; ein Szenario präsentiert wird, in dem Verfassungsschutz und Medien Mitglieder der AfD an den gesellschaftlichen Rand drängen. Zusammengefasst könnte man sagen, die Partei beschäftigte sich nur dann mit der Wende, wenn ihr diese als Metapher für die eigene Opferrolle dienen konnte.

Neben AfD und dem "Hofer Bündnis für Zivilcourage" hatte auch der Landkreis eine Veranstaltung auf dem Gelände des Deutsch-Deutschen Museums angemeldet. Hier ging es deutlich ruhiger und geschichtsträchtiger zu. Besucher konnten sich auf zahlreichen Schautafeln über die Zeit der deutschen Teilung und über die Wiedervereinigung informieren. Auch einzelne Vorträge und Führungen standen auf dem Programm. Doch auch hier gelang es an diesem Tag nicht völlig, der AfD aus dem Weg zu gehen. Entlang der Reste des "antifaschistischen Schutzwalls" klärten mehrere Schilder über Rechtsextremismus auf, regten mehrere spielerische Aktionen Kinder zum Nachdenken über Demokratie an.

Und wo bleibt die Einheit?

Umweltschutz, Rassismus, Diskriminierung, Klima, Migration, Medienhetze, EU - all dies war Thema am Tag der Einheit in Mödlareuth. Droht nicht die Gefahr, dass der Zweck der eigentlichen Feier untergeht? Robert Lebegern, Leiter des Deutsch-Deutschen Museums, nickt nachdenklich, als ihm diese Frage gestellt wird. Für einen Moment blickt er in die Ferne, atmet tief durch, bevor er zu sprechen beginnt. "Dass solche Tage von verschiedenen politischen Seiten instrumentalisiert werden ist normal. Man darf aber eines nicht vergessen: Vor dem Jahr 1989 wären solche Veranstaltungen nicht möglich gewesen. Daher ist es auch wieder ein schönes Zeichen, wenn sie überhaupt stattfinden können." Und so hängt am Ende dieses Tages irgendwo doch alles zusammen, auch wenn die Einigkeit auf den ersten Blick nicht jedem ersichtlich ist.

Autor

Bilder