Bad Schandau Urlaub daheim: Bastei statt Bretagne

Simona Block

Über Wochen war Ruhe im Nationalpark Sächsische Schweiz. Was für die Natur ein Segen ist, ist für den Tourismus wie ein Fluch - nun könnte ausgerechnet Corona helfen.

 
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Bad Schandau - Wildparker drängen sich am Straßenrand durch das idyllische Kirnitzschtal in der Sächsischen Schweiz. Die Nummernschilder stammen aus ganz Deutschland. Schon früh am Tag füllen Wanderer mit Rucksack, Stock und Sonnenhut die Auen des Flüsschens, Radfahrer mit großem Gepäck schlängeln sich zwischen den Schienen der Kirnitzschtalbahn. Hinter ihnen lauern Urlauberautos, Handwerker mit kleinen Lkw und Busse der Nationalparklinie auf eine Gelegenheit zum Überholen.

Mitten in der Woche ist der Campingplatz Ostrauer Mühle auf halber Strecke zum Lichtenhainer Wasserfall schon gut gefüllt. Eine junge Familie aus Warnemünde hat noch einen Stellplatz für ihr Wohnmobil bekommen. Christopher Z. wollte mit Frau und zwei Kindern eigentlich nach Schweden oder Österreich. "Aber dort ist es überall so voll", sagt der 38-Jährige. Nun freuen sie sich auf ein oder zwei Tage in der bizarren Felswelt, die wie die mehr als hundertjährige Straßenbahn schon Hollywood-Kulisse war: Kate Winslet fuhr als Schaffnerin in "Der Vorleser" mit.

Hochfrequentiert ist auch der Kurort Rathen, ein Hotspot im Elbsandsteingebirge östlich von Dresden. Von hier geht es hinauf zur Bastei, der berühmtesten Felsformation, ins Naturtheater Felsenbühne oder in den Amselgrund, eine wildromantische Schlucht mit Wasserfall und See unterhalb der Lokomotive, einem weiteren markanten Felsgebilde.

"Wir merken schon, dass die Deutschen Urlaub im eigenen Land machen", sagt Jens Gehrig, Inhaber des Amselgrundschlösschens. "Es gibt mehr Anfragen als in normalen Jahren." Wenige Meter Luftlinie entfernt spucken Schiffe und S-Bahn weitere Besucher aus, auf der Zufahrt in das pittoreske Örtchen stauen sich Pkw schon auf dem Hochplateau. Zu den Urlaubern kommen Tagesgäste, die wandern, klettern oder eine Tourpause auf dem Elberadweg einlegen, sagt eine Mitarbeiterin der Touristinformation. "Auffällig viele sind aus den alten Bundesländern."

Von der rund 200 Meter darüber liegenden Basteiaussicht sind die schmucken Fachwerkhäuser, die die engen Gassen säumen, fast winzig. Wie für Selfies bestellt, teilt ein historischer Raddampfer das Wasser der träge vorbeifließenden Elbe. "Wegen Corona konnten wir nicht nach Italien", sagt Monika aus dem Münsterland. Nun touren die 49-Jährige und ihr Mann mit dem Wohnmobil durch Ostdeutschland. "Die Landschaft ist einmalig", sagt sie und zeigt in die Tiefe.

Auch rund um die berühmten Felsen, wo einst Raubritter ihr Unwesen trieben und später die Romantiker ihre Motive fanden, brummt es. Von der 76,5 Meter langen Brücke geht der Blick auf ein einmaliges Panorama, im Rücken drängen sich Menschen durch die mittelalterliche Felsenburg Neurathen. Die Hüter des Nationalparks Sächsische Schweiz sehen die Massen mit Sorge. Schon Pfingsten war die Region fast überrannt worden, dabei hatte sich die Natur gerade etwas erholt.

"Im Lockdown war Ruhe", sagt Jörg Weber als Sprecher der Nationalparkverwaltung. Wanderfalken konnten dort wieder ihren Horst bauen, wo sonst zu viel Lärm ist. Neben Wildparkern und -campern ist der Individualverkehr ein Problem für Flora und Fauna. "Dabei gibt es sehr gut ausgebauten Nahverkehr", sagt Weber. Aber die Züge seien zu Hochzeiten voll. "Es ist halt zu viel Gast in zu wenig Landschaft."

Kirsten und ihr Mann Werner aus Lübeck sitzen elbabwärts in Obervogelgesang entspannt vor ihrem Caravan in der Sonne. "Eigentlich wollten wir nach Frankreich", sagt die 59-Jährige. Wegen Corona haben sie und ihr Mann sich für Ostdeutschland entschieden. "Ostseeküste, Spreewald, Neiße und jetzt dieses wunderbare Fleckchen." Selbst bei Eyserts auf der Hochebene in Gohrisch ist mehr als sonst los. Das ehemalige Gewächshaus am Forststeig, einem 110 Kilometer langen Wanderweg bis in die benachbarte Böhmische Schweiz ist ebenso gefragt wie die alten Schäferwagen direkt im Ort. Die Schlaf-Strandkörbe im Schatten der berühmten Festung Königstein sind ebenso belegt wie die Safari-Zelte am Treidlerweg, wo einst sogenannte Treidler die Segelschiffe elbaufwärts zogen.

"Wir sind in vielen Bereichen ausgebucht und können nur noch Restplätze anbieten", heißt es beim Tourismusverband der Region. Im Juni gingen nur 20 Prozent der Betriebe davon aus, das coronabedingte Minus aufholen zu können. Wichtig seien jetzt Ferien-Tagesgäste, sagt Verbandsgeschäftsführer Tino Richter. Hotels und Pensionen hofften auf eine Saisonverlängerung und Belebung in den Wintermonaten.

Auch das Erzgebirge will mit kühlen Wäldern, erfrischenden Gebirgsbächen und etwa 5500 Kilometer markierten Wanderwegen sowie 800-jähriger Bergbaugeschichte und einzigartiger Kulturlandschaft aus Kunstgräben und Teichen, Pingen oder Mundlöchern punkten. Der Tourismusverein der Welterbe-Region verzeichnet seit Mitte Mai viel Nachfrage und Buchungen - wenn auch sehr kurzfristig. "Menschen wollen Ausflüge in die Natur machen, sich frei und ungezwungen bewegen", sagt Chefin Ines Hanisch-Lupaschkosie einen Trend. Vor allem Wandern ohne Gepäck auf dem Kammweg oder die Mountainebike-Tour Stoneman Miriquidi stünden hoch im Kurs. Das merkt auch das Hotel "Fichtelberghaus" auf der mit 1215 Metern höchsten Erhebung des Landes. "Sonst herrscht unter der Woche Flaute bei uns, jetzt sind wir da wesentlich besser gebucht", sagt Geschäftsführerin Isa Meinel. Es kämen sehr viele Sachsen, aber auch Gäste aus anderen Bundesländern. Locken doch um den Luftkurort Oberwiesenthal am Fuß des Berges Wanderwege und Bikerrouten bis ins Tschechische - und mit der Flyline ein vier Kilometer-Flug" über den Skihang durch die Baumwipfel.

"Urlaub im eigenen Land liegt gerade im Trend", sagt Veronika Hiebl, Geschäftsführerin der Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen (TMGS). Sachsen werde profitieren, die Verluste der vergangenen Monate könne aber auch ein sehr guter Sommer nicht wettmachen. Nach einer Berechnung des Landestourismusverbandes summierten sich die Umsatzeinbußen allein für März bis Mai auf über 1,8 Milliarden Euro. Für das Erzgebirge ruht die Hoffnung auch auf dem Advent mit Weihnachtsmärkten, Mettenschichten, Bergparaden, sagt Hiebl. "Grundsätzlich hängt alles davon ab, ob die Infektionslage stabil bleibt."

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