Länderspiegel Warten auf den Mann in Gummistiefeln

### Titel ### Quelle: Unbekannt

Nicht immer geht im Redaktions-Alltag alles glatt. Und manchmal wechseln gestandene Reporter auch mal kurz ihre Rolle.

 
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Sie sind ein RIALO. Das heißt, ein riesen Arschloch." Puh. Das sitzt. Wer an einem düsteren Montagmorgen schlecht gelaunt einen Brief öffnet und die an einen persönlich gerichteten Worte liest, der ist erstmal bedient. Nun gut, wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem Schreiber offenbar um einen verkappten Nazi, der mit dem Duktus eines Artikels so gar nicht einverstanden war. Auch so etwas kommt im Alltag eines Redakteurs vor.

Es gibt im Mikrokosmos Lokalzeitung wohl nichts, das es nicht doch gibt, auch wenn es Außenstehende kaum glauben können.

Fotograf stoppt Trauung

Schauplatz ist eine Kleinstadt im südlichen Fichtelgebirge. Der Bürgermeister und die Stadträte sind rege und haben immer wieder tolle Ideen. Doch was nutzen die, wenn niemand davon erfährt? Und so ist in der kleinen großen Welt der örtliche Berichterstatter eine der wichtigsten Persönlichkeiten. Dank ihm erfahren die Bürger von bahnbrechenden Entscheidungen oder kindischem Gezänk im Stadtrat. In besagtem Fall hatte der örtliche Berichterstatter einen kleinen Bauernhof daheim, was an sich unwichtig wäre. Es begab sich aber, dass an einem Abend der Stadtrat über den Haushalt tagte, und - oh Schreck - der Berichterstatter nicht auf seinem Platz saß. Der Bürgermeister zog seine Rede immer mehr in die Länge und blickte fast sekündlich zur Tür. Endlich, gute 20 Minuten nach Beginn der Sitzung kam der Berichterstatter in den Saal geschlurft. In gelben Gummistiefeln und Blaumann. Er habe den Termin fast verschwitzt und komme direkt aus dem Stall. Dass er auch gleich den herben Duft von Schwein und Huhn mit in den feinen Saal brachte, tat der Erleichterung der Herren und Damen Stadträte keinen Abbruch. Übrigens: Die Bürger erfuhren natürlich von ihrem Berichterstatter alles Wichtige über den städtischen Haushalt.

Das Reporterleben ist mitunter ziemlich stressig. Vor allem die sogenannten freien Mitarbeiter haben es wahrlich nicht leicht. So hatte sich eine Reporterinstitution im Landkreis Wunsiedel an einem Samstagnachmittag offenbar etwas zu viele Termine aufgehalst und hetzte von einem Ort zum nächsten. Da es natürlich einem Wunder gleicht, wenn eine Veranstaltung pünktlich beginnt, zerrann unserem Mann der Zeitplan förmlich zwischen den Händen. Offenbar mit den Nerven am Ende, griff der jetzt wirklich rasende Reporter zum letzten Mittel: Er stoppte eine Veranstaltung, um schnell sein Foto schießen zu können. Nur dumm, dass es sich dabei ausgerechnet um eine kirchliche Trauung handelte. Da er nicht warten wollte, bis das frisch vermählte Brautpaar aus der Kirche trat, unterbrach er kurz vor dem Jawort energisch die Zeremonie und bat das junge Glück, sich kurz mal in Pose zu stellen. "Ich habe ja schließlich noch andere Termine und muss weiter", begründete er sein Tun. Der Pfarrer verstummte, das Paar stellte sich in Pose und in den Bänken schüttelten viele der Anwesenden ungläubig und erbost den Kopf. Zumindest wird das Paar seine kirchliche Trauung nie vergessen. Dass die Eheleute später wütend in der Redaktion angerufen und sich über den Fotografen beschwert haben? Nur zu verständlich.

Reporter als Hobby-Jurist

Natürlich passieren auch den Redakteuren selbst peinliche Fehler, für die wir uns wirklich schämen. Da werden in der Hektik schon mal Bilder und Namen vertauscht. Kommt nicht häufig vor, passiert aber. Dumm ist es vor allem, wenn ein Termin falsch abgedruckt wird. Einmal musste ein armer Vereinsvorsitzender gar wegen der Frankenpost geschlagene drei Stunden vor Beginn der Jahreshauptversammlung im Vereinslokal erscheinen, weil die Zeitung aus Versehen 15 Uhr statt 18 Uhr geschrieben hatte. Damit ist bewiesen, dass ein kleiner Vertipper große Auswirkungen haben kann.

Immer wieder erstaunen Lokalredakteure ihre Mitmenschen wegen ihres schier unglaublichen Wissens (Ironie!). So saß ein Marktredwitzer Redakteur kürzlich mit Kollegen und Mitarbeitern einer Verwaltung am Mittagstisch. Irgendjemand zitierte den Bibelspruch "Suche der Stadt Bestes". Ganz beiläufig kommentierte der Marktredwitzer Redaktionsleiter "ach ja, Jeremia 29". Stille. Das konnte jetzt niemand glauben. Ist der Mann tatsächlich derart bibelfest, dass er auf Anhieb ein Bibelzitat aus dem Alten Testament dem richtigen Propheten zuordnen kann? Ja, ist er. Zumindest in diesem Fall. Wenige Tage vorher war in einem Frankenpost -Artikel über einen Pfarrer genau dieser Bibelspruch zitiert worden. Da sieht man es: Zeitungsschreiben und -lesen bildet eben doch.

Journalisten trauen sich ja viel zu. Einer aus dem Fichtelgebirge offenbar ein bisschen mehr. Der Mann ist seit Jahren Gerichtsreporter. Er ist mit den meisten Richtern und Anwälten im Amtsgericht per Du und kennt auch so einige Ganoven aus der Region. Offenbar kann er ziemlich gut einschätzen, wie ein Richter tickt. Als er einer Verhandlung beiwohnte, bei der sich der Angeklagte um Kopf und Kragen redete, obwohl der Richter einen guten Kompromiss als Urteil vorgeschlagen hatte, bat unser Reporter kurzerhand um eine Unterbrechung der Verhandlung. Etwas überrascht gab der Richter dem ungewöhnlichen Gesuch vom Mann hinterm Pressetisch statt. In der fünfminütigen Pause wechselte der Journalist schnell mal die Rolle und ließ dem erstaunten Angeklagten eine fundierte Rechtsberatung angedeihen. Wenig später ging der Klein-Ganove auf den Kompromissvorschlag des Richters ein und kam mit einem blauen Auge davon: Eine Geldstrafe und eine relativ kurze Bewährungszeit.

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