Rottach-Egern Wenn der Wald Hilfe aus der Luft bekommt

Elke Richter
Helikopter-Einsatz für einen gesunden Wald: Ein Hubschrauber transportiert ein sogenanntes Bigpack mit hunderten Baumsetzlingen zur Sanierung der Schutzwälder. Foto: Matthias Balk/dpa Quelle: Unbekannt

Er schützt vor Lawinen und vor Hochwasser: Aber der Schutzwald in den Alpen braucht Hilfe. Das Aufpäppeln benötigt Zeit, Geld - und oft genug fliegerisches Können.

 
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Rottach-Egern - Mit einem ohrenbetäubenden Knattern sinkt der Hubschrauber sacht in die Waldlichtung, die so klein ist, dass nur wenige Meter bis zu den Bäumen bleiben. In Windeseile springt das Bodenpersonal heraus, hängt zwei der bereitstehenden großen Säcke an eine lange Leine, und schon hebt der Heli wieder ab. 50 Meter unter ihm schweben nun 1240 Tannen- und Lärchensetzlinge dem Rotkogel entgegen, einem weglosen Berg im Mangfallgebirge südlich des oberbayerischen Tegernsees. Am Rotkogel muss, wie an vielen anderen Bergen auch, dringend der Schutzwald aufgeforstet werden: Eine aufwendige, aber nötige Aktion, für die in den Alpen Jahr für Jahr große Summen ausgegeben werden.

Denn die Aufgabe des Schutzwaldes ist es, Menschen, Gebäude und Infrastruktur zu schützen. Vor Lawinen, Muren, Felsstürzen und Steinschlag, aber auch vor Bodenerosion und Hochwasser. Und zwar weit über den jeweiligen Hang oder das darunter liegende Tal hinaus: "Wir hätten viel öfter kritische Hochwasserlagen auch im Flachland, wenn der Ablauf aus den Alpen impulsiver käme und auf einen Schlag", betont Stefan Pratsch, Referatsleiter für Bergwald im bayerischen Forstministerium. "Denn der Regen, der in den Alpen sehr intensiv runtergeht durch den Alpenstau, landet letztlich zum Beispiel in Passau." Ist der Schutzwald intakt, fangen die Bäume einen Teil des Wassers ab, und die Mengen versickern selbst bei Starkregen langsam im unebenen und porösen Boden, statt in felsigen Rinnen und Schneisen rasch abzufließen. Auch abbrechende Felsbrocken werden von den Stämmen aufgefangen, die Lawinengefahr wird durch den Wald ebenfalls reduziert.

Rund 60 Prozent der 260 000 Hektar Bergwaldfläche in den bayerischen Alpen gelten nach dem Waldgesetz als Schutzwald, sind also steiler als 35 Grad oder steiler als 20 Grad bei zusätzlich schwierigen Bodenverhältnissen. Beide Definitionen treffen auch auf Hänge in den Mittelgebirgen zu. Doch während der Schutzwald etwa im Frankenwald oder dem Fichtelgebirge wenig Probleme macht, gelten rund zehn Prozent der Fläche in den bayerischen Alpen als sanierungsbedürftig. "Das ist gewissermaßen immer Wald auf der Intensivstation, wenn wir mit dem Hubschrauber die Setzlinge auf den Berg fliegen", ordnet Pratsch ein.

Nicht immer läuft es dermaßen spektakulär ab, manche Gebiete sind auch durch Forstwege erschlossen. Ein Schnäppchen ist die Sanierung aber auch dann nicht: Ein neu bepflanzter Hektar kostet bei günstigen Bedingungen etwa 15 000 Euro, kommt der Heli ins Spiel, sind es etwa 30 000 Euro. Müssen zudem noch Verbauungen errichtet werden, damit abrutschender Schnee die mühsam gepflanzten Setzlinge nicht gleich wieder aus dem Boden zieht, können es auch 400 000 oder 500 000 Euro pro Hektar sein - für eine Fläche von 100 mal 100 Metern.

Rund 87 Millionen Euro hat die Staatsregierung in den letzten 30 Jahren in die Schutzwaldsanierung gesteckt, weit mehr als 13 Millionen Bäume wurden gepflanzt. Hinzu kommen die Anstrengungen der kommunalen und privaten Waldbesitzer.

"Unser Ziel ist der Vier-Baumarten-Wald" erläutert Bernhard Reissner, der für den Rotkogel zuständige Revierförster vom Spitzingsee. Die Lärche als typische Pionierbaumart kommt mit den schlechten Verhältnissen am Berg gut zurecht. Die Tanne wächst langsamer, aber wurzelt tiefer. Hinzu kommen die weit verbreitete Fichte sowie Bergahorn, Esche, Buche oder Kiefer.

Neben abrutschendem Schnee sorgen noch andere Faktoren dafür, dass es die jungen Bäumchen schwer haben. Wild zum Beispiel, das gerne die jungen Triebe abknabbert. Oder die raue Witterung und die deutlich kürzere Vegetationsperiode. Das hat Folgen: "Bis so ein Baum mannshoch wird, was im Flachland nach sieben, acht Jahren der Fall ist, kann es im Hochgebirge leicht einmal 40, 45, auch 50 Jahre dauern", berichtet Pratsch.

Die Förster denken und handeln deshalb viele Jahrzehnte im Voraus. Sie wissen, dass Nichtstun schwerwiegende Folgen hätte: Haben Regen und Wind erst einmal den Humus einer länger kahlstehenden Fläche abgetragen, dauert es mehrere Tausend Jahre, bis sich wieder eine Schicht aufbaut. Was an sich erst mal kein Problem ist, wie Pratsch betont. "Die Natur selbst braucht uns nicht. Wir machen das nur, um uns Menschen zu schützen."

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