Länderspiegel "Wir brauchen ruhige Köpfe - auf beiden Seiten"

Interview: Dr. Mustafa Nail Alkan Quelle: Unbekannt

Mustafa Nail Alkan forscht zu den deutsch-türkischen Beziehungen. Er sagt: So schlecht wie jetzt war das Verhältnis noch nie zuvor. Er blickt pessimistisch in die Zukunft.

 
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Herr Professor Alkan, Sie sind ein Kenner der deutsch-türkischen Beziehungen. War aus Ihrer Sicht die Eskalation der zurückliegenden Tage absehbar?

Zur Person

Mustafa Nail Alkan ist seit dem Jahr 2010 Dozent an der Gazi-Universität in Ankara. Er lehrt am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen. Alkan promovierte an der Universität Bonn - zur Wahrnehmung der Türkei in den deutschen Medien.

Das ist derzeit normal. Das deutsch-türkische Verhältnis ist geprägt von Maßnahmen und Gegenmaßnahmen. Das wird so lange weitergehen, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Es wird sich bis Ende des Jahres, nach den Bundestagswahlen in Deutschland, hinziehen. Ich gehe davon aus, dass wir ins Jahr 2018 freundschaftlicher gehen werden.

Das heißt, Sie rechnen mit Störfeuer im Bundestagswahlkampf?

Ich gehe davon aus, dass wir während des Bundestagswahlkampfs noch einige negative Äußerungen gegenüber der Türkei hören werden - von einigen deutschen Parteien. Beide Parteien sollten auf Deeskalation aus sein. Wir brauchen ruhige Köpfe - sowohl in Deutschland als auch in der Türkei.

So wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nicht unbedingt als Heißsporn bekannt ist?

Wir stehen allerdings vor einem Bundestagswahlkampf, bei dem auch die AfD eine Rolle spielen wird. Es kann sein, dass die CDU/CSU, um von der AfD Stimmen zu gewinnen, einiges gegen die Türkei sagen wird, was sie später wieder revidiert. Ich habe mich innerlich schon darauf vorbereitet und nehme es nicht so ernst. Im Wahlkampf wird viel gesagt. Auch Donald Trump hat im Wahlkampf viel gesagt, was er nachher revidiert hat. Ab Oktober werden wir wieder zu normalen deutsch-türkischen Beziehungen zurückkehren.

Welche Kritikpunkte könnten der Türkei nicht schmecken?

Das Thema EU-Beitrittsgespräche. Es ist gut möglich, dass über einen sofortigen Stopp der Beitrittsverhandlungen gesprochen wird. Die CSU, Linke und FDP sprechen ja bereits darüber. Allerdings wissen wir ja auch, dass ein Stopp der Beitrittsverhandlungen erst zustande kommt, wenn alle 28 Staaten der Europäischen Union zustimmen. Das wird nicht passieren.

Allerdings befindet sich eine mögliche Mitgliedschaft der Türkei in so weiter Ferne wie nie zuvor!

Sie müssen bedenken, dass die Türkei seit 58 Jahren vor den Toren der EU steht. Wir erwarten, dass wir irgendwann einmal Mitglieder der EU werden - und jetzt will die EU einen Beitrittsstopp. Das sind ganz verschiedene Welten. Natürlich wissen wir auch in der Türkei, dass derzeit ein Beitritt nicht kommen wird. Trotz alledem muss der Prozess weitergehen. Auch wenn wir vielleicht nicht EU-Mitglied werden, ist es wichtig, die Reformen fortzusetzen, um eine bessere Türkei zu bekommen.

Zurück zum deutsch-türkischen Verhältnis. Waren die Beziehungen je zuvor schlechter?

So schlecht waren die Beziehungen noch nie. Auch in den 1990er-Jahren gab Spannungen - aber nie so schlecht. Es geht ja fast ein Jahr lang. Eine Krise jagt die andere. Das geht so seit der Armenien-Resolution, die wohl der größte Affront war. Aber dennoch sind sich beide Seiten bewusst: Einen Abbruch der Beziehungen wird es nicht geben. Das wird sich auch die Türkei nicht leisten können. Ich vergleiche das gern mit einem alten Ehepaar: Es gibt zwar ab und zu mal Streit, aber eine Scheidung ist nicht in Sicht. Wir wissen also: Wir werden uns nicht scheiden lassen. Dennoch sollten wir uns bemühen, die Beziehung etwas besser zu gestalten. Wir sollten Lösungsansätze suchen.

Spüren Sie in Deutschland eine Anti-Türkei-Stimmung?

Ja. Und das muss sich wieder ändern. Wir sind doch nicht Russland und die Türkei, sondern Deutschland und die Türkei - mit einem hohen Anteil von türkischen Migranten in Deutschland. Ich kann mich an keine Partner erinnern, die über einen sehr langen Zeitraum schlechte Beziehungen hatten. Nur zur Erinnerung: Wir sind Partner in der Nato, der EU und dem Europarat.

Anlass für die aktuelle Krise ist die deutsche Entscheidung, türkischen Nato-Soldaten Asyl zu gewähren. Was ist daran aus türkischer Sicht falsch?

Die Türkei kritisiert, dass Deutschland Gülen-Anhängern Asyl gewährt. Deutschland sollte wissen, dass die Gülen-Bewegung in der Türkei eine Terror-Organisation ist. Für mich stellt sich die Frage: Wie würde Deutschland handeln, wenn die Türkei Terroristen, die gerade an einem Putschversuch in Deutschland beteiligt waren, Asyl gewährt? Mehr Empathie ist gefordert. Schon nach dem Putschversuch hätte sich die Türkei gewünscht, dass die Europäer gleich an ihrer Seite stehen. Doch es hat zwei Monate gedauert, bis die ersten Politiker in die Türkei gereist sind. So entsteht kein gegenseitiges Vertrauen und Verständnis. Solange wir nicht ähnlich handeln, kommt es zu diesen Problemen.

In Sachen Visa-Liberalisierung gibt es für die Türkei ein Hindernis. Wäre das nicht ein Ansatzpunkt für ein türkisches Entgegenkommen?

Wenn man die Äußerungen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hört, dann wird es in naher Zukunft nicht dazu kommen. Vielleicht in ein paar Jahren, wenn die Terror-Bekämpfung in der Türkei beendet ist. Deshalb wird die Visa-Freiheit auch nicht kommen.

Die türkische Reaktion auf die deutsche Asyl-Entscheidung ist es, Bundestagsabgeordneten keinen Zugang zu den deutschen Soldaten zu geben. Die Bundeswehr ist aber eine Parlamentsarmee. Ist dies der Türkei nicht bewusst?

Normalerweise ja. Seit der Armenien-Resolution weigert sich die Türkei aber, für normale Verhältnisse zu sorgen. Das ist insofern verständlich, da unter Partnern gilt: Solange du mir nicht wohlgesonnen bist, bin ich es dann auch nicht.

Aber irgendjemand muss diesen Teufelskreis doch durchbrechen!

Den Freunden der deutsch-türkischen Beziehung wäre ein Ende sehr lieb. Denn auch uns belasten diese Spannungen. Deshalb versuchen wir - als Wissenschaftler - auf kleiner Ebene Lösungen zu finden und diese den Politikern anzubieten. Sie müssen diese kleinen Schritte nur anwenden. Weniger Rechthaberei, sondern eine Suche nach Lösungen, die beiden schmeckt.

Das Gespräch führte Marcus Schädlich

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