Mehlmeisel Das große Glück auf kleinem Raum

Auf geringer Fläche lebt es sich wesentlich entspannter als in der 150-Quadratmeter-Wohnung. Die Bewohner des weit und breit einzigen Tiny-Dorfes wissen das genau.

 
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Mehlmeisel - Wie viel Platz braucht ein Mensch zum Leben? Wie groß muss ein Haus sein? 100 Quadratmeter? 150 Quadratmeter? Bei den meisten Eigenheimbesitzern steigt der Stolz mit der Quadratmeter-Zahl an, bei Patrick Rolf Ullrich nicht. Ihm genügen 20 Quadratmeter fürs persönliche Glück und vor allem für ein entspanntes Leben.

"Das ist schnell geputzt, leicht zu unterhalten und macht wenig Probleme", sagt der Mann mit dem grauen Vollbart und den langen Haaren, der vor 50 Jahren in Landau zur Welt gekommen ist, schon viele Umzüge hinter sich hat und nun vor drei Monaten in Oberfranken gelandet ist - weil er dort in einem besonders kleinen Eigenheim wohnen kann. In einem sogenannten Tiny House, in dem auf gerade einmal 20 Quadratmetern Platz ist zum Kochen, Essen, Wohnen und auch Schlafen.

Genau so etwas hat Ullrich gesucht, genau so etwas ist in Deutschland schwer zu finden. Tiny Houses - tiny heißt übersetzt sehr klein - sind nicht gerade kompatibel mit den hierzulande üblichen Vorschriften, sowohl was das Melderecht als auch das Baurecht betrifft. Dass im Fichtelgebirge, in Mehlmeisel, inzwischen eine richtige kleine Tiny-House-Siedlung entstanden ist, liegt an zwei jungen Menschen und ihrem Traum vom Leben im Minihaus: Steffi Beck und Philipp Sander.

Als das junge Paar, das ursprünglich aus München kommt, ein Jahr lang mit dem Projekt "Work and Travel" in Kanada unterwegs war, stieß es auf das Thema Tiny House. Das Leben auf wenigen Quadratmetern faszinierte die beiden, der Gedanke daran ließ sie nicht mehr los. Sie entschlossen sich, sich selbst ein Tiny House zu bauen. Das war 2016. Bei der Suche nach einem geeigneten Standort wurden die beiden auf das Fichtelgebirge aufmerksam und landeten schließlich in Mehlmeisel, wo sie einen ehemaligen Campingplatz kauften - und bei Bürgermeister Franz Tauber auf offene Ohren und reichlich Unterstützung stießen.

Auf dem 17 000 Quadratmeter großen Grundstück mit einem traumhaften Ausblick auf das Fichtelgebirge gründeten sie 2017 das Tiny-House-Village und ein Tiny-House-Hotel - ein Hotel und ein Dorf also. Und sie sind erfolgreich: Als Hotel vermieten die beiden zwei Häuschen, zudem gibt es sieben weitere Häuser, in denen sich 14 Menschen niedergelassen haben - als dauerhafte Bewohner.

"Das Hotel ist zurzeit über Wochen ausgebucht", sagt Steffi Beck. Viele Gäste kämen hierher, weil sie die Idee vom kleinen Haus nett finden und das Wohnen auf kleinem Raum einfach mal testen wollen. So mancher Gast trage sich ganz konkret mit dem Gedanken, sich ein Tiny House zuzulegen. Das andere Standbein ist die Tiny-Community, die Gemeinschaft also. Etliche Bewohner sind Menschen, die die Großstadt hinter sich gelassen haben. "Wir haben viele Bewohner aus Hessen, aus der Frankfurter Gegend", sagt Steffi Beck. "Die Großstadt ist zu teuer. Vielen reicht es irgendwann." IT-Experten gibt es hier ebenso wie Selbstständige, eine Rentnerin oder eine Konditorin. "Es ist hier total ungezwungen", sagt Steffi Beck. "Es gibt sehr viele Möglichkeiten, in der Gemeinschaft etwas zu tun. Wenn du das aber nicht willst, kannst du auch ganz in Ruhe sein."

Phillip Sander und Steffi Beck haben noch viel vor. Sie wollen mit den Bewohnern ihres Dorfes einen Verein gründen, unter dessen Dach nicht nur ein Waldkindergarten oder ein Permakultur-Garten entstehen könnten und etliche Veranstaltungen stattfinden sollen. An Workshops, in denen die beiden ihre Erfahrungen beim Bau von Tiny-Häusern weitergeben wollen, denken sie. An Lesungen in einer großen Scheune, die zum Campingplatz gehört. Oder auch an Tanzkurse.

Da kommt wieder Patrick Rolf Ulrich ins Spiel. Der 50-Jährige, der im Besucherbergwerk Gleissinger Fels bei Fichtelberg als Fremdenführer arbeitet, ist nämlich auch Tanzlehrer. Und ein Fan seiner neuen Heimat: "Vieles hier ist einfach deshalb schön, weil noch keiner versucht hat, es schöner zu machen, und es ist zu hoffen, dass es so bleibt", schreibt er in seinem Blog auf der Homepage des Tiny-House-Village.

Video unserer Zeitung gewährt Einblicke ins Tiny House

Durch eine große Eingangstür mit zwei Flügeln betritt der Besucher das 18 Quadratmeter große Tiny House "Nordic Fjöll", das Steffi Beck und Philipp Sander selbst gebaut haben. Der erste Blick fällt auf das Wohnzimmer im Eingangsbereich mit seinem blauen Sofa. Es folgt eine voll ausgestattete Küche mit einem Essbereich und im hinteren Teil des Hauses das Badezimmer mit einer 80 mal 80 Zentimeter großen Runddusche. Eine Ecktreppe mit ein paar Stufen führt in das Loft, in dem sich der Schlafbereich befindet. Auf einer weiteren Galerie ist eine Leseecke untergebracht. Auf der Homepage unserer Zeitung gibt es ein Video, das einen Blick in das Innere dieses Hauses gewährt. Interessierte können sich außerdem den 16. September vormerken: Beim Sommerfest im Tiny-House-Village können Interessierte die Häuser genau in Augenschein nehmen. T. S.

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