Das Leiden scheint groß. Denn nach einem Jahr Corona-Pandemie, die der Stadt wie ein Parasit das Leben aus den Adern gesogen hat, wünschen sich viele inzwischen sogar die Touristen zurück. Jene früher oft gehasste, lärmende Menschenmasse, die bis tief in die Nacht die Métro verstopfte, in den Restaurants alle Plätze besetzte, die Preise in astronomische Höhen trieb und in deren Mitte manche eingebildet aber glücklich mit Einkaufstüten von Louis Vuitton über die Champs-Élysées stolzierten. Stattdessen sind an den Luxusgeschäften nun die Rollläden heruntergelassen und hinter den Glasscheiben der verschlossenen Bistros stapeln sich verstaubte Tische und Stühle. Der schönste Boulevard der Welt verströmt plötzlich nur noch das müde Flair einer breiten, von Bäumen gesäumten Straße.
Manche Wirte brechen die Regeln
In einigen Seitengassen der Stadt wagen manche Wirte dann aber doch den kleinen Regelbruch. Am offenen Fenster ihrer Bistros verkaufen sie Bier und Wein, auf das Trottoir haben sie Stehtischchen gestellt, an denen sich rauchend und trinkend einige Männer unterhalten. Was für eine Zeit, in der solch banale Szenen wie ein Akt der Rebellion wirken.
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Lediglich an den Wochenenden scheint sich die Stadt mit der Ankunft des Frühlings gegen dieses Gefühl der Depression zu wehren, das sich wie Mehltau über Paris gelegt hat. Dann versorgen sich vor allem die jungen Menschen im Supermarkt mit Bier und schleppen die Flaschen an die Seine oder in einen der Parks der Stadt. Dort setzen sie sich auf Randsteine oder ins Gras, spielen Boule und genießen für einige Stunden ihre kleine, oft maskenlose Freiheit. Leider aber auch eine Freiheit für das Virus.
Dieses vermeintlich sorglose Treiben hat am frühen Abend ein jähes Ende. Wenn die Sonne beginnt, sich hinter dem Eiffelturm zu senken, scheuchen Einheiten der Polizei die Menschen von den Quais der Seine, denn um 19 Uhr beginnt die Corona-Ausgangssperre. Auf dem Nachhauseweg warnt dann immer noch eine Durchsage in der Métro die Fahrgäste sogar auf Chinesisch vor Taschendieben. Auch das eine wehmütige Erinnerung an eine ferne Zeit, in der die ganze Welt in dieser Stadt der Liebe und des Lichts zuhause war. Es gibt keine chinesischen Touristen mehr in Paris – allerdings auch keine Taschendiebe.