„Das Narrenschiff zwischen Kunst und Satire“ Mit Volldampf ins Verderben

Schon vor 500 Jahre sahen Künstler die Welt als Narrenschiff auf gefährlichem Kurs. Die neue Ausstellung des Coburger Kunstvereins zeigt die Aktualität der satirischen Metapher mit Werken von Hieronymus Bosch bis Stephan Klenner-Otto.

 
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Die Bäuche voll, die Sinne berauscht, die Hirne stumpf: Wen kümmert’s da schon, dass das morsche Boot ziellos durchs offene Meer dümpelt und die Kreuzfahrt absehbar ins Verderben führt. Das Sinnbild des Narrenschiffs, auf dem eine desorientierte Menschheit sich final verlustiert, wirkt sehr modern – und ist doch schon ein halbes Jahrtausend alt. Seine Aktualität führt der Coburger Kunstverein mit seiner neuen Ausstellung „Das Narrenschiff zwischen Kunst und Satire“ multimedial vor Augen.

Hieronymus Boschs berühmtes Gemälde darf da nicht fehlen, als Reproduktion, versteht sich – das Original hängt seit einhundert Jahren wohlbehütet im Pariser Louvre. Ein Bestseller seiner Zeit dürfte den niederländischen Maler um 1500 dazu inspiriert haben und wird auch hier vorgestellt: Sebastian Brants Moralsatire „Das Narrenschiff“ – von Albrecht Dürer und Kollegen illustriert – war das erfolgreichste deutschsprachige Buch vor der Reformation. Ähnlich wie Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen 150 Jahre später hielt der Humanist Brant seinen lasterhaft lebenden Mitmenschen den spöttischen Spiegel vor, um sie zur Tugend zu bekehren und zum Umstieg ins „Schiff der göttlichen Weisheit“ zu bewegen.

Die Parallelität zur derzeit laufenden Grimmelshausen-Ausstellung „Verkehrte Welt“ in der Coburger Landesbibliothek ist Zufall, erklärt Reinhard Heinritz, der sich mit dieser Themenausstellung aus der Führungsriege des Kunstvereins verabschiedet – – im Sommer steht ein Generationenwechsel im Vorstand bevor. Kuratiert hat er die Schau gemeinsam mit der ukrainischen Künstlerin Sascha Rodina.

Ein Maler aus der Ukraine war es auch, der ihm den Impuls zu dieser Themenschau lieferte: Oleg Nekrasov, der mit seiner Familie aus Mariupol geflohen ist, karikiert mit surrealer Überzeichnung eine aus den Fugen geratene Welt. Nekrasov spielt mit Stil und Symbolik altmeisterlicher Ikonenmalerei und lässt seine gedeckten Farben „von innen leuchten“, wie Heinritz anmerkt. Die meisten der 20 ausgestellten Werke des Ukrainers sind im Kriegsjahr 2022 entstanden.

Während Nekrasovs Narrenschiff auf Grund gelaufen ist, lässt Stephan Klenner-Otto den Aberwitz abheben: Jean Pauls Luftschiffer Giannozzo zählt zu jenen literarische Figuren, die er kongenial illustriert hat. Ein Dutzend Grafiken des in Rödental lebenden Künstlers führt mit abgründigem Witz in skurrile Sphären.

Eigens für die Ausstellung hat die Coburger Künstlerin Gertrud Plescher-Fahnler eine zwölfteilige Serie von Collagen geschaffen, die den nahenden Narrenschiffbruch plastisch zeigen: Auf der ausgemergelten, verdorrten Erde geht der kapitalistische Karneval unverdrossen weiter.

Ein sarkastisches Sinnbild steuert der Coburger Grafiker und Objektkünstler Oliver Hess bei: „Unser Weg ist der richtige!“ behauptet eine gestrandete Flaschenpost. Ihr Absender mag auf Hannes Zips „Narrenschiff“ aus Beton unterwegs sein – oder in jenem, das der Mistelgauer Maler Robert Siebenhaar für die Ausstellung gemalt hat. Ebenfalls mit „im Boot“ sind Thomas Bühler und Vincent Wenzel aus Berlin, der Erfurter Maler Jost Heyder und der in Kleinmachnow lebende Rainer Ehrt, der in seinen Variationen des Themas seine Skepsis gegenüber der menschlichen Vernunftbegabung nicht verhehlt. Die spektakulärste Arbeit der Ausstellung füllt die Apsis des Pavillons: Andreas Kuhnleins symbolstarke Installation „Das Narrenschiff“ zeigt den Schiffbruch einer Spezies, der das Wasser bis zum Halse steht.

Abgerundet wird die Ausstellung von einer Video-Aufnahme des Balletts „Narrenschiff“, das Goyo Montero 2021 am Staatstheater Nürnberg choreografiert hat. Auch Raum für Kreativität ist geboten: Gleich zwei Nischen laden Kinder dazu ein, eigene Narrenschiffe zu gestalten.

Kunstverein Coburg, Park 4a (am Hofgarten), Zufahrt über Leopoldstraße. Bis 23. April. Eröffnung: 4. März, 16 Uhr. Öffnungszeiten: Mi-Fr 15-18 Uhr, Sa 14-17 Uhr, So und Feiertage: 10-17 Uhr. Telefon (nur während dieser Zeiten): 09561/25808

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