Eröffnung in Gleusdorf Kleine Synagoge mit großer Wirkung

Pia Bayer

Ein Neuanfang, ein Abschied – und jede Menge Polizei. Trotz limitierter Gästezahl war die kleine Einweihung der einstigen Synagoge in Gleusdorf als Museum und Lernort etwas ganz Großes.

 
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Gleusdorf - Ein Polizist steht auf der Brücke hinter dem Ortsschild von Gleusdorf und weist ein Auto ab. Zwei Radfahrer biegen derweil auf einen Feldweg ein. Vor dem neuen Informationszentrum zur ehemaligen Synagoge flattert ein weiß-rotes Absperrband in der strahlenden Sonne. Ein schwarzer BMW mit Münchner Kennzeichen und Blaulicht auf dem Dach lauert in einer Seitengasse der Dorfmitte. Der Bürgermeister hat schlecht geschlafen. Die Geschäftsleiterin hat für diesen Anlass ihren Urlaub unterbrochen.

In der Festscheune der Dorfgemeinschaft von Gleusdorf, knapp 100 Meter Luftlinie von der ehemaligen jüdischen Glaubensstätte entfernt, sitzen rund 30 Personen auf schwarzen Stühlen zwischen Holzbalken – wie kleine Inseln, die auf einem Schachbrettmuster verteilt wurden. 1,50 Meter Abstand. Corona. Der Boden ist grau, die Luft kühl. Röhrenleuchten spenden grelles Licht. An der Stirnseite verdeckt eine Fahne mit dem Wappen der Gemeinde Untermerzbach den so typischen Sandstein für diese Gegend, davor steht ein Rednerpult.

Um 13.28 Uhr betreten drei Sicherheitsmänner die Scheune: Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, marschiert zügigen Schrittes durch den Mittelgang und nimmt zielstrebig in der ersten Reihe Platz. Als weiterer Ehrengast folgt dem Tross Dr. Ludwig Spaenle, Beauftragter der bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. Es ist eine Szene, die nicht so recht in die dörfliche Idylle passen möchte. Draußen dröhnen Motorräder. 35 Minuten nach dem geplanten Start beginnt der Festakt zur Einweihung einer der kleinsten Synagogen Bayerns als neuem Lernort über das fränkische Landjudentum. Es ist der zweite in einer Gemeinde mit nur knapp 1700 Einwohnern – und damit „etwas ganz Besonderes und eine zutiefst politische Botschaft für die gesamte Republik“, wie Ludwig Spaenle in seinem Grußwort ausführt.

„Wir dachten, wir laden Herrn Dr. Schuster ein und er kommt dann halt“, sagt Helmut Dietz, Bürgermeister von Untermerzbach, nach der Begrüßung der zahlreichen Ehrengäste und blickt von seinem Manuskript auf. Bis Ende letzter Woche sei ihm nicht bewusst gewesen, dass die kleine Gemeinde damit auch für den Schutz des Zentralratspräsidenten zuständig sei. Security und Polizeikräfte sind an diesem Tag in ganz Gleusdorf verteilt, die Mitarbeiter des Bauhofs sind mit orangenen Warnwesten ebenfalls im Einsatz und schicken Passanten vom neuen Informationszentrum weg.

Gut 30 Minuten spricht der Bürgermeister und macht deutlich, dass dieses Projekt auch ein persönliches ist. Denn die Synagoge, deren Bau 1857 nur durch eine bayernweite Kollekte mit Genehmigung des Königs von der kleinen jüdischen Gemeinde in Gleusdorf finanziert werden konnte, wurde 1909 nach dem Wegzug von Josef Baum, dem letzten jüdischen Einwohner Gleusdorfs, an den Urgroßvater des Bürgermeisters verkauft: 1909 erwarb der Maurermeister Heinrich Dietz aus Memmelsdorf das Gebäude unter der notariell niedergeschriebenen Bedingung, „dass auf dem verkauften Platze niemals Abort, Stall, Badehaus und Gerberei gebaut und eingerichtet werden dürfen“. Dietz‘ Urgroßvater verkauft das Gebäude 1910 schließlich wieder an die Nachkommen der letzten Vorbesitzer: Familie Nestmann aus Gleusdorf. Wohl wegen der Bedingung, es „nicht als Stall“ zu nutzen, wird ein Schuppen vor die Synagoge gezimmert. Das dahinter liegende Gebäude gerät in Vergessenheit.

Nur die Gleusdorfer Bürger wissen um ihre Synagoge, sonst nimmt sie kaum jemand wahr. Über 100 Jahre bleibt der schlichte Sandsteinbau so im Verborgenen, bis der ehemalige Kreisheimatpfleger Günter Lipp und Bernhard Joos von der Unteren Denkmalschutzbehörde im Landratsamt Haßberge die Synagoge 2014 wieder in Erinnerung rufen und damit den Ausgangspunkt für einen Neustart setzen.

Ein Vorprojekt für Bestandsaufnahme und Sicherung des Synagogengebäudes wird initiiert, zahlreiche Gespräche werden geführt, Förderanträge geschrieben, die „Gleusdorfer Heimatgespräche“ ins Leben gerufen und schließlich die Firma frankonzept aus Würzburg mit der fachlichen Aufarbeitung der jüdischen Ortsgeschichte und Architektin Renate Schubart-Eisenhardt mit den baulichen Planungen beauftragt. Auch viele weitere Menschen hätten mit großem Engagement an diesem Projekt mitgearbeitet, betonte Dietz. Eine öffentliche Einweihungsfeier solle deshalb, sobald es Corona zulässt, nachgeholt werden.

660 540 Euro wurden für das Projekt veranschlagt, nach derzeitigem Stand wird es am Ende günstiger werden. „Da noch nicht alles abgerechnet ist, werden wir mit den tatsächlichen Kosten bei circa 595 000 Euro landen“, informierte Bürgermeister Dietz weiter. Fördermittel wurden in Höhe von 348 000 Euro bewilligt, aus Eigenmitteln entsprechend 247 000 Euro investiert.

Wie gut diese Investitionen angelegt sind, betonte der Antisemitismusbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Ludwig Spaenle, in seinem Grußwort und sprach von einem wichtigen Zeichen in diesen Tagen wieder erstarkender Judenfeindlichkeit: „Man kann gegen Antisemitismus etwas tun: Mit Bildung. Sie haben diesen Ansatz!“ Landrat Wilhelm Schneider ergänzte, dass Geschichte am besten dort vermittelt werden könne, wo sie auch geschehen ist, und Zentralratspräsident Josef Schuster lobte, auf welche Weise die neue Ausstellung in Gleusdorf sichtbar macht, wie selbstverständlich das jüdische Leben über Jahrhunderte hinweg verwoben war mit dem allgemeinen Leben der Region. Damit leiste das Gleusdorfer Konzept einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung, dass jüdische Geschichte in Deutschland viel mehr beinhaltet als nur die Zeit von 1933 bis 1945, so Schuster.

Das fachliche Konzept der neuen Ausstellung erläuterte Jochen Ramming von der Firma frankonzept, bevor sich alle Gäste selbst ein Bild von den neuen Räumen machen konnten. Zwei Stränge durchziehen demnach die Ausstellung und ergänzen sich in symbiotischer Weise: Auf der Außenseite des Nebengebäudes, zur Synagoge gewandt, wird die jüdische Geschichte in Infotexten und anhand von Einzelschicksalen dargestellt, ergänzt um einzelne Jahreszahlen aus der Ortsgeschichte. An den Wänden des Innenraumes hingegen steht die Ortsgeschichte im Mittelpunkt, bereichert durch die einzelnen Jahreszahlen aus der jüdischen Geschichte.

Hansfried Nickel, ehemaliger jahrelanger Vorsitzender des Träger- und Fördervereins Synagoge Memmelsdorf, führte im Anschluss an den offiziellen Teil durch die Synagoge. Zwischen Bleifenstern, Farbresten von blauer Marmorierung an den Wänden und der noch sichtbaren, jedoch zugemauerten Nische des alten Toraschreins entfaltete die Feierlichkeit erst ihren würdigen Rahmen, der trotz der stimmungsvollen musikalischen Umrahmung und des klug gewählten Programms durch Konzertmeister Peter Rosenberg an der Violine in der Festscheune nicht aufkommen wollte.

In seinem Grußwort hob Nickel hervor, wie sich die beiden Lernorte in der Gemeinde Untermerzbach auf ideale Weise ergänzen. Zugleich kündigte er seinen Rückzug aus dem Vorstand des Synagogenvereins zum Jahresende an. Quasi als letzten Wunsch formulierte er mit Blick auf den Geschichtspfad, der nun auch die beiden Lernorte verbindet: „Heute Morgen hab ich noch an etwas gedacht. Eine Stele fehlt noch.“ Auch in Untermerzbach habe es eine Synagoge gegeben, die zeitweise sogar Sitz des Rabbinats im Bezirk Grabfeld war. Mit der Einweihung am Sonntag steht nun jedoch zunächst einmal der zweite Lernort in der Gemeinde Untermerzbach bereit und für alle Interessierten offen.

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