Moskau (dpa) - Lange Schlangen vor russischen Museen sind keine Seltenheit. Doch einen Ansturm wie kurz vor Toresschluss der Werkschau von Valentin Serow (1865-1911) hat die berühmte Tretjakow-Galerie in Moskau noch nicht erlebt - vor allem nicht für einen russischen Maler. Nach Tumulten vergangene Woche, bei denen sogar Türen zu Bruch gingen, wurde die Schau bis 31. Januar verlängert. Am Wochenende warteten Tausende bei eisigem Frost auf Einlass, so dass der Zivilschutz mit Heizzelten und einer Feldküche anrückte. Tee und Buchweizengrütze sollten die Kunstfreunde wärmen.
Die «Schlange für Serow» wurde sogar zum Hit im russischsprachigen Internet. An vielen Stellen in Moskau gebe es unechte «Schlangen für Serow», wurde gewitzelt. «Umfragen zufolge stehen 86 Prozent der Russen für Serow in der Schlange», schrieb jemand als Seitenhieb auf die Popularitätswerte von Präsident Wladimir Putin.
Seit Oktober haben mehr als 400 000 Menschen die Ausstellung zum 150. Geburtstag des großen russischen Porträtmalers gesehen - während die Tretjakow-Galerie sonst 30 000 Besucher bei einer Sonderausstellung als Erfolg rechnet. Moskauer Kunstexperten rätseln, was den Ansturm ausgerechnet auf diese Schau ausgelöst hat. Die Torschlusspanik ist unnötig, weil die meisten Werke des Malers jahraus, jahrein in der Tretjakow-Galerie und anderen russischen Museen hängen.
Die psychologisch genauen Porträts aus einer Umbruchphase passten zum heutigen Russland, schrieb die Zeitung «Nowaja Gaseta». Serow malte die Menschen, die das Zarenreich kurz vor dem Ende prägten - die Kaiser Alexander III. und Nikolaus II., Adelige, Schauspielerinnen, Künstler, Industrielle. «Viele blicken uns aus ihren Porträts an, als ob sie Mitleid hätten mit uns Heutigen», meinte die Rezensentin. «Wir schauen diese wunderbaren Menschen einer vergangenen Epoche an, so wollen wir auch sein», sagte eine Besucherin.
Andere Gründe für die langen Schlangen waren banaler. Während der russischen Neujahrstage war die Ausstellung nicht überlaufen, die Torschlusspanik setzte erst mit der Rückkehr zur Arbeit ein. Dann besuchte Putin die Schau und erinnerte alle Interessierten an das drohende Ende zum 24. Januar. Auch schaffte es die Tretjakow-Galerie nicht, den Inhabern von Internettickets zum vorbestellten Zeitpunkt Zutritt zu verschaffen.
Generell fehle es in Russland an derartigen Kunstevents, sagte der Experte Andrej Jerofejew. Im Ausland würden Ausstellungen klassischer wie moderner Kunst groß inszeniert. «Die Serow-Ausstellung war da eine Ausnahme. Das war eine große Show.»