Frauennotruf Coburg Hilferufe nach dem Lockdown

Symbolbild: Gewalt an Frauen ist auch in Deutschland immer noch an der Tagesordnung. Foto: picture alliance/dpa/Maurizio Gambarini

Lange Zeit waren Frauen und Kinder aus dem öffentlichen Blickfeld verschwunden. Nun strömen Sie zum Frauennotruf. Das geht auch den Helferinnen an die Substanz.

 
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Die Zahlen sind im Sommer hochgeschossen – nicht bei den Corona-Infizierten, sondern bei den Frauen, denen Unrecht und Gewalt angetan wurde. Im September hatte der Frauennotruf bereits die Beratungszahlen des gesamten Vorjahres erreicht. Mehr als 400 Frauen haben die Sozialpädagoginnen der Fachberatungsstelle schon gezählt. Davon sind bisher 60 Prozent Erstmeldungen, also Frauen, die sich das erste Mal an die Coburger Hilfsstelle gewandt haben. Vor der Pandemie waren es in Coburg 2019 noch 480 Fälle. Ob diese Marke wieder überschritten wird, lässt sich erst am Ende des Jahres sagen. 2020 lag die Fallzahl bei 460.

Kaum Hilfe im Lockdown möglich

Mit dem Wegfall der Corona-Beschränkungen und des Homeoffice-Rechts strömen diejenigen zurück in die Öffentlichkeit, die womöglich monatelang mit ihren Peinigern auf engstem Raum eingesperrt waren. Gewalt gegen Frauen ist auch in Deutschland alltäglich, jede dritte Frau ist hierzulande laut Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben davon betroffen. Sie sind unter anderem Gewalt, Bedrohung, Stalking und Nötigung in der Partnerschaft am meisten ausgesetzt. Doch auch auf der Straße fühlen sich Frauen und Mädchen häufig nicht sicher vor Übergriffen. Deutschlandweit ist laut Statistik des Bundeskriminalamts ein stetig steigender Trend auf 120 000 bis 2020 zu verzeichnen. Die Diakonie schätzt, dass jährlich 17 000 Frauen Schutz in Frauenhäusern suchen, mit Kindern sind es insgesamt 34 000 Schutzsuchende. Demgegenüber stehen viel zu wenige Plätze in den Frauenhäusern zur Verfügung.

Erst langsam und zeitversetzt nach dem Fall der Corona-Beschränkungen im April seien die Anfragen beim Frauennotruf eingegangen, sagt Karin Burkardt-Zesewitz, Sozialpädagogin der Fachberatungsstelle Frauennotruf Coburg: „Viele Frauen haben während der Pandemie wenig Möglichkeit gesehen, Zugang zum Hilfssystem zu finden. Das Fehlen eines Blickes von außen hat die Probleme in der Familie gelassen und das Gefühl, der Situation ausgeliefert zu sein, hat sich verstärkt. Aber irgendwann ist halt genug.“ Kollegen, Freunde oder Mitarbeiter in alltäglichen Institutionen haben teils unbewusst ein Auge auf die, die zu Hause vielleicht mit Problemen zu kämpfen haben, und können von sich aus Hilfe anbieten. Wer aber kein soziales Leben mehr hat, dessen Wunden – seien sie seelisch oder körperlich – werden nicht gesehen. Ist man zusammen mit dem Peiniger eingesperrt, ist auch an Hilfe von außen nicht zu denken.

Masken und Traumata erschwerten Beratung

Hinzu kommt die Maskenproblematik: Das Tragen von Mund- und Nasenschutz sollte die Gefahr der Corona-Infektionen minimieren, doch für einige ist sie ganz anders in Erinnerung geblieben, erklärt Burkardt-Zesewitz: „Für die allermeisten ist das Tragen der Maske auch wichtig, um sich vor Ansteckung zu schützen und um anonym zu bleiben. Doch für betroffene von sexualisierter Gewalt kann die Maske auch traumatisierend sein, wenn die Täter ihnen beispielsweise den Mund zugehalten haben oder selbst vermummt gewesen sind.“ Wie viele Frauen deshalb während der Zeit der Maskenpflicht nicht in die Geschäftsstelle kommen konnten, kann die Sozialpädagogin nicht sagen: „Eigentlich fällt uns immer eine Lösung ein, wie wir die Frauen doch noch beraten können – sei es telefonisch, online oder dass sie doch zu uns kommen.“

„Froh um jede, die den Weg zu uns findet“

Seit 2020 haben die Sozialpädagoginnen einen höheren Personalschlüssel, sodass trotz des Ansturms allen Klientinnen zeitnah innerhalb von zwei Wochen ein Termin gegeben werden kann. Denn das ist der Anspruch, um den Betroffenen möglichst schnell helfen zu können. Der Coburger Frauennotruf ist auch für die Landkreise Coburg, Lichtenfels und Kronach zuständig und hatte im Lockdown mit starken Einschränkungen bei der Beratung zu kämpfen. Nun häufen sich die Anfragen massiv, das geht an den Pädagoginnen nicht spurlos vorbei. Das immer neue Einstellen auf so viele Anfragen sei natürlich belastend: „Wir schauen aufeinander, nehmen Supervision, versuchen andere Termine zu reduzieren und unserem hohen Anspruch an eine lösungsorientierte, den Betroffenen sehr zugewandte Beratung treu zu bleiben.“ Weil das allen so wichtig sei, funktioniere es auch, denn die Betroffenen hätten ja keine andere Möglichkeit. „Wir sind froh um jede, die den Weg zu uns findet.“

Um weiterhin gut für die Betroffenen da sein zu können und mental fit zu bleiben, setzen die Helferinnen verstärkt den Fokus auf ihre eigene mentale Gesundheit, um die oft sehr schweren Geschichten der Frauen und Familien zu verarbeiten. Denn die Hilfe wird nach wie vor dringend gebraucht – genauso wie das öffentliche Bewusstsein dafür.

Fachberatungsstelle Frauennotruf Coburg

Was ist das?
Der Frauennotruf Coburg ist eine Einrichtung des Vereins „Keine Gewalt gegen Frauen e.V.“ und richtet sich an Frauen und Kinder. Ein Beratungstermin wird innerhalb von zwei Wochen vergeben und ist telefonisch oder persönlich möglich: Montag bis Donnerstag 8:00 bis 16:00 Uhr und Freitag 8:00 bis 14:00 Uhr.

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