Ständig traurig sein, fast nichts mehr essen, sich selbst mit einem Messer verletzen: Heranwachsende leiden immer stärker unter psychischen Belastungen, das zeigen verschiedene Studien. Doch was schlägt Jugendlichen derart auf die Seele?
Jugendliche sind immer öfter psychisch krank, das zeigen verschiedene Studien. Eine Corona-Folge, zu viel Leistungsdruck? Die Ursachen sind nicht ganz klar.
Ständig traurig sein, fast nichts mehr essen, sich selbst mit einem Messer verletzen: Heranwachsende leiden immer stärker unter psychischen Belastungen, das zeigen verschiedene Studien. Doch was schlägt Jugendlichen derart auf die Seele?
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„Psychische Erkrankungen sind mitten in der Gesellschaft, sie beginnen ganz früh. Das heißt, wir müssen früh präventiv tätig sein, müssen in die Schule gehen“, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Marcel Romanos, am Dienstag in Hannover bei der Daten-Vorstellung der KKH Kaufmännische Krankenkasse zum Thema psychische Erkrankungen.
Diese zeigen: Insgesamt nahmen laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH die psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren deutlich zu. Demnach haben 40 Prozent der befragten Mütter und Väter das Gefühl, dass ihr Kind in den vergangenen ein bis zwei Jahren vermehrt unter seelischem Stress gelitten hat. Gut ein Fünftel (21 Prozent) der Eltern 6- bis 10-Jähriger hat den Eindruck, dass ihr Kind aktuell psychisch stark belastet ist. Bei Eltern 11- bis 18-Jähriger liegt der Anteil bei knapp einem Drittel (mehr als 30 Prozent).
Vor allem selbstverletzendes Verhalten bei Kindern und Jugendlichen sei ein weit verbreitetes Problem. Ritzen sei „ein außerordentlich häufiges Phänomen im frühen Jugendalter, insbesondere bei jungen Mädchen ist es epidemisch“, erklärte Romanos.
Er befragte mit seinem Team an der Uniklinik Würzburg im vergangenen Jahr rund 880 Schülerinnen und Schüler im Durchschnittsalter von 11 bis 14 Jahren zu ihrem psychischen Befinden. Demnach gaben rund elf Prozent an, sich selbst zu verletzen, etwa in Form von Ritzen. 30 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler erklärten, schon einmal Suizidgedanken gehabt zu haben.
„Selbstverletzung ist ein Hochrisikofaktor für schwere psychische Erkrankungen wie Depressionen und suizidales Verhalten. Langfristig ist es äußerst schädlich“, warnte Romanos. Es sei ein „Ausdruck von starken emotionalen Anspannungszuständen und der mangelnden Fähigkeit, Gefühle adäquat zu regulieren“, so der Experte weiter.
Auch internationale Studiendaten zeigten, dass emotionale und affektive Störungen unter Jugendlichen deutlich zunähmen und insbesondere junge Mädchen zunehmend unter Druck gerieten.
Nach aktuellen Daten der KKH Kaufmännische Krankenkasse sind besonders junge Frauen im Alter von 15 bis 18 Jahren betroffen. Im Fokus stehen Angststörungen, Depressionen und Essstörungen wie Magersucht und Bulimie. Demnach stieg von 2012 auf 2022 der Anteil der 15- bis 18-jährigen Versicherten mit Angststörungen um 115 Prozent, mit Depressionen um 122 Prozent und mit Essstörungen um 62 Prozent.
Gesellschaftliche Krisen wie Corona, schulischer Leistungsdruck, soziale Medien? Die Ursachen des Anstiegs von psychischen Störungen sind noch nicht abschließend geklärt. „Das stellt uns noch vor viele Rätsel“, so Romanos.
Laut forsa-Umfrage geben gut zwei Drittel (69 Prozent) der Eltern, deren Kind sich psychisch stark belastet fühlt, Leistungsdruck in der Schule oder bei der Ausbildung als Auslöser dafür an. Die Hälfte nennt die hohen Ansprüche des Kindes an sich selbst als Grund für seelischen Stress. Für 30 Prozent sind es hingegen fehlende soziale Kontakte und Einsamkeit.
KKH-Psychologin Franziska Klemm erklärt sich das so: Viele Heranwachsende stünden unter Druck, in der Pandemie Versäumtes nachzuholen, das Schuljahr mit guten Noten abzuschließen, einen Abschluss zu schaffen, der eine solide berufliche Zukunft ermöglicht.
„Stress aus der Schule rausnehmen geht nicht, aber es ist wichtig, Kindern zu vermitteln, wie sie angemessen mit Stress und Belastung umgehen können“, sagte sie. Das gleiche gelte für den Umgang mit Sozialen Medien. „Hier müssen Kinder lernen, was ist guter Content, und von welchem Content halte ich mich fern.“
Experte Romanos empfahl besorgten Eltern, auch eigene psychische und andere Probleme anzuerkennen und sich rechtzeitig um sich selbst zu kümmern. „Als niedrigschwelliges Angebot helfen außerdem Erziehungsberatungsstellen weiter, die dann gegebenenfalls weiterführende Hilfsangebote vermitteln.“