Johannisthaler helfen der Ukraine Bewegte Eindrücke von der Front

Julia Knauer

Andi Kraus und sein Fußball-Kollege Roman Grycak haben Hilfsgüter an die ukrainische Grenze gefahren. Dort haben sie viel Chaos, Leid, aber auch große Dankbarkeit erlebt.

 
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Johannistahl - Es ist eine Begegnung an der polnisch-ukrainischen Grenze gewesen, die sich am vergangenen Wochenende ganz besondres tief ins Gedächtnis von Andi Kraus aus Johannisthal eingebrannt hat. „Ich saß im Transporter und habe auf meinen Freund Roman Grycak gewartet. Da habe ich draußen eine Oma und eine Mutter mit zwei recht kleinen Kindern gesehen“, erzählt er. Kurzerhand habe er den Kindern zwei Tüten Gummibärchen in die Hand gedrückt, die Grycaks Frau den Männern eigentlich als Proviant mitgegeben hatte. „Der Junge hat mich dann am Bein festgehalten und mit seinen Händen so nach unten gewedelt. Als ich mich daraufhin zu ihm heruntergebeugt habe, ist er mir um den Hals gefallen und wollte mich gar nicht mehr loslassen“, berichtet Kraus. Bei der Erinnerung daran steigen ihm die Tränen in die Augen und seine Stimme bricht. „Dazu muss man wissen, dass ich selbst zwei Kinder in dem Alter habe“, schluchzt er. Dieses Erlebnis sei einerseits sehr schlimm für ihn gewesen, aber auch in gewisser Weise schön, da er die unmittelbare Dankbarkeit der Menschen gespürt habe.

Roman sollte nicht über die Grenze

Nun sind Kriegsgebiete Orte, die man für gewöhnlich lieber meidet. Trotzdem hat Andi Kraus keine Sekunde gezögert, als er am vergangenen Freitag hörte, dass sein ursprünglich aus der Ukraine stammender Fußball-Kollege Roman Grycak vor hatte, mit seinem Privatauto Hilfsgüter an die polnisch-ukrainische Grenze zu bringen – und Familienmitglieder dort abzuholen. „Ich war gleich entschlossen, mitzufahren. Erstens, weil ein Privatauto viel zu klein ist und zweitens, weil ukrainische Männer im wehrpflichtigen Alter aktuell nicht ausreisen dürfen. Deshalb wollte ich auf gar keinen Fall, dass Roman über die Grenze geht“, erzählt er.

Vom Autohaus Vetter, wo Andi Kraus arbeitet, konnte er kurzfristig einen Transporter leihen. Am Samstag ging es dann los. Zu diesem Zeitpunkt wussten die beiden Männer noch nicht, was sie an der Grenze erwarten würde. Eigentlich hätte dort ein Lastwagen, der die Spenden entgegennimmt, auf sie warten sollen – genau wie Roman Grycaks zwei Schwägerinnen, die sie mit nach Deutschland nehmen sollten.

Stundenlanges Ausharren an der Grenze

Tatsächlich war jedoch alles anders. „Der Laster durfte nicht über die Grenze und Romans Schwägerinnen saßen in einem Zug auf der anderen Seite fest und durften auch nicht rüber“, erinnert sich Andi Kraus. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Nacht auf einem Parkplatz zu verbringen. Erst am nächsten Abend durften die Schwägerinnen nach Polen einreisen. „Und dann haben wir noch einmal fünf Stunden gewartet, bis sie den Stempel in ihren Pass bekommen haben. Das war krass“, erzählt er.

Transporter innerhalb kürzester Zeit leer geräumt

Auch die mitgebrachten Hilfsgüter hätten sie zunächst nicht abladen können, da ja der Laster nicht kam. „Es gab dort zwar Behälter, wo man Spenden einwerfen konnte. Aber das wollten wir nicht, weil da waren Leute, die die Sachen einfach genommen und in ihre Transporter geladen haben. Die haben sie einfach geklaut“, berichtet Andi Kraus kopfschüttelnd. Schließlich seien sie direkt bis an die Grenze gefahren, Roman Grycak habe sich dabei im Hintergrund gehalten um nicht aufzufallen. „Da stand dann ein Bus. Innerhalb von ein paar Minuten war unser ganzer Transporter leer geräumt. Wir haben dann noch gesehen, wie der Bus zurück über die Grenze gefahren ist“, erzählt er. Das sei am Sonntagnachmittag, etwa um 15 Uhr gewesen.

Viele Frauen und Kinder

Viel Schlaf haben die beiden auf ihrer Tour nicht bekommen. „In der Nacht von Samstag auf Sonntag haben wir vielleicht zwei Stunden geschlafen“, berichtet Andi Kraus. Viele Kinder hätten sie gesehen, die aus der Ukraine flüchten wollten. „Und Frauen. Da waren auch zwei Zwölfjährige mit einem Kleinkind dabei“, erzählt er. Teilweise hätten sie den Leuten direkt aus den Fenstern des Transporters heraus warme Decken in die Hand gedrückt. „Da wussten wir wenigstens, dass die Sachen angekommen“, seufzt er.

Mitten in der Nacht von Sonntag auf Montag konnten die beiden schließlich zum Bahnhof fahren um Romans Grycaks Schwägerinnen abzuholen. „Wir haben auch noch andere Leute mitgenommen, die aber nur bis in die Tschechei wollten“, sagt Andi Kraus. Auch in dieser Nacht hätten sie kaum Schlaf gefunden – am Montagfrüh um 9.30 Uhr seien sie schließlich wieder zu Hause angekommen. „Dort ist mir dann erst einmal Romans Mutter um Hals gefallen. Ich musste ihr vor der Abfahrt versprechen, dass ich ihn wieder mitbringe“, erzählt Kraus.

Weitere Transporte geplant

Er betont, dass diese ganze Aktion nicht möglich wäre ohne die vielen helfenden Hände im Hintergrund – und die Hauptorganisatoren Roman Grycak und Marc Bergauer. Es seien weitere Hilfstransporte zur polnisch-ukrainischen Grenze geplant – der nächste bereits am Donnerstag. Andi Kraus wird diesmal aber nicht mitfahren. „Wenn es hart auf hart käme, würde ich es aber wieder machen“, versichert er – nun sei es aber erst einmal sinnvoller, wenn Leute mit Lastwagen die Fahrten übernähmen. Dennoch werde er die Hilfsaktion "Roman“, wie sie inzwischen ganz offiziell heißt, selbstverständlich weiter tatkräftig unterstützen.

Eine unfassbare Situation

Angst habe er an der Grenze übrigens keine gehabt. „Aber als ich die Kinder dort gesehen habe, habe ich gewusst, es ist wichtig, dass man hilft. Und so brutal es zu sehen war, wie verzweifelt ein Mensch sein kann – so war es irgendwie auch ein schönes Gefühl, wenigstens ein bisschen was tun zu können“, beschreibt er seine Eindrücke. Für ihn sei das alles nach wie vor unfassbar. „Wir leben in einer Generation, für die Krieg bis jetzt kaum greifbar war. Jedem Einzelnen, der hilft, kann man nicht genug danken.“

Das Schicksal der Menschen in der Ukraine bewegt offensichtlich noch mehr Kronacher zutiefst. Das zeigt sich daran, dass Viele helfen wollen – sei es, indem sie selbst etwas auf die Beine stellen oder indem sie die Hilfsaktion „Roman“unterstützen.

Viel Unterstützung

So haben beispielsweise die Feuerwehr Teuschnitz und der Markt Pressig kurzfristig Spenden-Sammelstationen für die Aktion „Roman“ gegründet. „Mit Ihrer Hilfe können wir die Menschen vor Ort direkt unterstützen. Auch in Pressig haben sich ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bereit erklärt“, postet der Pressiger Bürgermeister Stefan Heinlein (CSU) auf Facebook. Aktuell würden vor allem Essen (Konserven mit Suppen, Nudeln, Reis), Verbandsmaterialien sowie Decken benötigt. Die Spenden könnten bis zum heutigen Mittwoch, 16 Uhr, am Rathaus abgegeben werden. „Wir fahren die Hilfsgüter danach direkt nach Johannisthal zum Verladepunkt“, informiert Heinlein. Am Donnerstag bringe sie ein Laster von dort direkt ins Krisengebiet.

Auch die Feuerwehr Teuschnitz ruft über Facebook zum Spendensammeln auf: „Die Spenden werden ausschließlich am Samstag, 5. März, von 9 bis 12 Uhr am Feuerwehrgerätehaus in Teuschnitz entgegengenommen und dort direkt verladen.“

Weitere Hilfsaktionen

Elke Helm, Geschäftsführerin der Marktrodacher Firma Unidice, möchte ebenfalls helfen. „Ich würde gerne eine Aktion im Landkreis Kronach starten“, schreibt sie in einer E-Mail an unsere Zeitung. So wie sich die Ukraine nicht alleine verteidigen könne, so könne auch sie das nicht alleine schaffen, schreibt sie und bittet um Unterstützung. Neben Sachspenden, denkt sie dabei an Bus- oder Transportunternehmen, die bereit wären, Güter an die Grenze zu fahren und Flüchtlinge mit nach Deutschland zu bringen. „Wir selbst haben nur einen Transporter, welchen wir persönlich an die polnisch/ukrainische Grenze fahren würden“, meint sie. „Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie unbürokratisch helfen würden, diese humanitäre Katastrophe wenigstens für ein paar Menschen zu lindern. Jede helfende Hand ist willkommen“, schließt Elke Helm ihren Text.

Auch im Kronacher Jugend- und Kulturzentrum Struwwelpeter möchte man nicht untätig zusehen. „Wie viele Menschen auf der ganzen Welt sehen wir den Krieg in der Ukraine mit Erschütterung und großer Sorge“, posten die Verantwortlichen auf Facebook. Einerseits stünden sie jederzeit im Jugendcafé für Gespräche zur Verfügung – sowohl für junge Kronacher, die Fragen hätten, als auch für Flüchtlinge aus dem Krisengebiet.

„Wir möchten aber nicht nur sprechen, sondern auch konkret helfen“, heißt es weiter. Der Förderverein des Struwwelpeters habe daher eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Das Spendenkonto laute: Förderverein Struwwelpeter, IBAN DE71 715  0000 0101 8473 90, Überweisungsbetreff „Ukraine“. Das Geld werde für Organisationen zur Unterstützung der humanitären Hilfe für die Menschen in der Ukraine beziehungsweise geflüchtete Menschen genutzt.

Kleinbus gesucht

Zudem werde ein Kleinbus gesucht, mit dem ehemalige Ehrenamtliche des „Struwwel“ an die polnisch-ukrainische Grenze fahren, Hilfsgüter dort abgeben und Flüchtlinge mit nach Deutschland nehmen möchten. Am besten wäre ein Neunsitzer. „Ihr könntet ein Auto für die Tage als Ersatzfahrzeug erhalten“, heißt es.

Die genannten Hilfsaktionen im Landkreis stehen beispielhaft für viele weitere und es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.

INFOKASTENTITEL
Der VfR Johannisthal sammelt für die Hilfsaktion „Roman“ verschiedene Sachspenden, die an die polnisch-ukrainische Grenze gebracht werden. Am meisten benötigt werden laut Andi Kraus: Outdoor- beziehungsweise Militärjacken für Herren, Helme, Taschenlampen, Decken, Schlafsäcke, Verbandstaschen, Verbandsmaterial, Masken, Hygieneartikel (Seifen, Zahnbürsten, Zahnpasta und ähnliches), Notstromaggregate, Nahrungsmittelkonserven sowie Reis und Nudeln. Alle Sammelstationen und das zugehörige Spendenkonto finden Sie hier.

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