Jüdische Stadt-Geschichte Coburg plant Weg der Erinnerung

Die St. Nikolauskapelle war als Synagoge bis 1932 ein wichtiger Ort jüdischen Lebens in Coburg Foto: NP-Archiv

Sechs Stationen sollen die jüdische Geschichte der Vestestadt dokumentieren. Nachkommen begrüßen das neue Konzept.

 
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Zehntausend Coburger drängen sich auf dem Marktplatz, 1300 von ihnen tragen stolz das Goldene Parteiabzeichen. 15 Jahre nach dem „Zug nach Koburg“ feiern sie am 15. Oktober 1937 mit ihrem Führer den Triumph der nationalsozialistischen Bewegung, zu dem sie nach Kräften beigetragen haben: „Mit Coburg habe ich Politik gemacht“, ruft Adolf Hitler vom Balkon des Rathauses, auf dem seit sechs Jahren die Hakenkreuzfahne weht.

Nichts erinnert heute auf dem Coburger Marktplatz daran, welche Rolle dieser Ort schon seit 1929 für die propagandistische Selbstinszenierung der Nazis hatte – und für ihr Terrorregime: Hier wurden Menschen zusammengetrieben und gedemütigt, in der „Prügelstube“ hinter dem Rathaus auch brutal misshandelt. Das erfährt nur, wer die 2014 angebrachte Gedenktafel in einem Durchgang in der Rosengasse entdeckt. Noch entlegener steht der Gedenkstein für die jüdischen Opfer des Faschismus am Rande des Friedhofs auf dem Glockenberg.

Seit 35 Jahren schon bemühen sich die Nachkommen der verfolgten und ermordeten Coburger Juden um ein würdiges Mahnmal, für das es aus ihrer Sicht nur einen geeigneten Standort gibt, an dem es auch wahrgenommen wird: den Marktplatz. Skeptisch beurteilen sie hingegen den jüngst veröffentlichten Plan der Stadt, den von den Nazis geschaffenen Platz vor dem Gräfsblock zu einem zentralen Gedenkort zu erklären (siehe NP vom 27. Juli).

Nun zeichnet sich ein Memorial-Konzept ab, das noch weiter greift. Ein „Weg der Erinnerung“ soll sechs markante Stationen verbinden, die für das jüdische Leben in Coburg und für dessen Vernichtung stehen: Die St. Nikolaus-Kapelle am Rosengarten, die von 1873 bis 1932 als Synagoge diente, der Marktplatz, die Spitalgasse, der (noch zu benennende) Ilse-Kohn-Platz vor dem Gräfsblock, der Bahnhof als Ort der Emigration und Deportation sowie der Jüdische Friedhof.

Kerstin Lindenlaub, die Leiterin der Kulturabteilung der Stadt, hatte eine solche Idee in der vergangenen Woche zwar angedeutet, gleichwohl war die Überraschung groß bei den rund 25 Teilnehmern einer Videokonferenz, die am Dienstagabend als erste von Stadtheimatpfleger Christian Boseckert Details über das Vorhaben erfuhren. „Sie waren sehr davon angetan. Lediglich gegenüber dem Gräfsblock gibt es Skepsis“, erklärte Boseckert auf Nachfrage der Neuen Presse.

Medien waren zu dem Online-Hearing nicht zulassen, zu dem Coburgs 3. Bürgermeister Can Aydin die Hinterbliebenen der Coburger Juden eingeladen hatte, um ihre Perspektiven und Wünsche kennenzulernen und einen dauerhaften Dialog zu eröffnen. „Es ist mir eine Herzensangelegenheit. Ich möchte mit Ihnen Eindrücke sammeln und Sie verstehen. Es wird keine Entscheidung getroffen, ohne Ihre Gedanken gehört zu haben“, versicherte Aydin laut Pressemitteilung den Gesprächsteilnehmern aus Israel, Kanada und den USA.

Viele stellten sich und ihre Coburger Wurzeln kurz dar, schilderten die Schicksale ihrer Familien und machten deutlich, wie die Traumata des Holocaust auch in den Folgegenerationen nachwirken. „Es war sehr bewegend“, so Gaby Schuller, die das weltweite Netzwerk seit Jahren aufgebaut hat und die Interessen der Betroffenen in der Planungsgruppe „Erinnerungsort für jüdisches Leben in Coburg“ vertritt. Das vorgestellte Konzept bewertet sie als Schritt in die richtige Richtung, der guten Anklang gefunden habe.

Jeffrey Kraus habe jedoch eindringlich darum gebeten, vorrangig und zeitnah auf dem Marktplatz ein Mahnmal zu schaffen, so Hubertus Habel. Dies wurde auch offiziell zu Protokoll gegeben: „Kernanliegen der Hinterbliebenen war einstimmig der Marktplatz als zentraler, ikonischer Standort für eine kollektive Erinnerungsmöglichkeit“. Der mehrstündige Meinungsaustausch werde „die weitere Planung und Herangehensweise an die Coburger Erinnerungskultur maßgeblich beeinflussen“, heißt es weiter. Wenn das von der Kulturabteilung ausgearbeitete Konzept im Herbst vom Stadtrat beschlossen wird, soll der Weg der Erinnerung nach Boseckerts Worten Stück für Stück möglichst im Jahresturnus realisiert werden. Mit allen Betroffenen möchte die Stadt im regelmäßigen Online-Kontakt bleiben.

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