Kurioser Prozess Geschichtsunterricht vor dem Kadi

Von Mathias Mathes
Um das Tragen einer Maske ging es beim Amtsgericht Coburg im Prozess nur am Rande. Foto: picture alliance/dpa/Biczysko

In einem Prozess um eine mögliche Volksverhetzung steht Aussage gegen Aussage. Am Ende heißt es: Im Zweifel für den Angeklagten.

 
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Ein Streit um die Maskenpflicht eskalierte im November 2021 in Rödental. Die Beteiligten trafen sich am Montag noch einmal am Coburger Amtsgericht. Eine 56-jährige Frau aus Coburg sah sich dem Vorwurf der Volksverhetzung ausgesetzt.

Es ging in dem Prozess nicht darum, dass die Frau trotz damaliger Maskenpflicht im Dehner-Gartenmarkt keinen Mund-Nasenschutz getragen hatte. Dass dem so war, bestritt keiner der am Verfahren Beteiligten. Vielmehr soll die Beschuldigte einem Mann, der sie auf die fehlende Maske hingewiesen hatte, mit einer Anspielung auf die Ermordung der Juden im Dritten Reich zu nahe getreten sein. „Wissen Sie, was man mit Ihnen vor 40 Jahren gemacht hätte“, soll sie ihm nach polizeilichem Protokoll an den Kopf geworfen haben. An dieser Stelle sei erwähnt, dass das Naziregime vor 40 Jahren seit 37 Jahren Geschichte war. Unabhängig davon hatte der Mann dies nach eigenem Bekunden so aufgefasst, als ob die 56-Jährige ihm hätte sagen wollen, dass er in die Gaskammer geschickt worden wäre.

Nun könnten die Aussagen zu dem Vorfall kaum gegenteiliger sein. Die Angeschuldigte bestritt den Vorwurf der Volksverhetzung. Ganz im Gegenteil: Ihr Kontrahent habe mit dem Streit begonnen und sich von Anfang an äußerst aggressiv verhalten. Er habe sie übel beschimpft, sodass ihre Kinder ganz verstört gewesen seien. Auf dem Parkplatz vor dem Gartenmarkt sei der Streit noch einmal aufgeflammt. „Blockwarte hatten wir schon einmal“, habe sie dem Mann ins Gesicht gesagt. Der habe geantwortet, sie gehöre an die Wand gestellt und erschossen.

Die Version des Kontrahenten: Er habe sie höflich, aber bestimmt darauf hingewiesen, dass sie eine Maske tragen müsse. Darauf habe die Frau sofort sehr aggressiv reagiert. „Sie ist gleich auf mich losgegangen“, so der Mann. Sie werde ihn anzeigen wegen seiner Fäkalsprache, habe sie gedroht. Die Lebensgefährtin des Mannes sagte, die Anspielung, wie der Mann jetzt vor Gericht meinte, sei noch im Gartenmarkt gefallen. Der Mann dagegen gab an, es sei auf dem Parkplatz gewesen. Die Verteidigung hatte noch eine Zeugin aufgerufen, die die Version der Beschuldigten bestätigte, während der Mann und seine Lebensgefährtin dabei blieben, dass die Aggression von der 56-Jährigen ausgegangen sei. Bei der Zeugin der Verteidigung handelte es sich um die Bekannte der Angeklagten, die beim Einkauf im Gartenmarkt dabei war. „Es war fürchterlich“, meinte sie zum Betragen des Mannes. Beide Parteien beteuerten, dass sie die Situation hätten entschärfen wollen. Dass dies nicht gelungen sei, habe am jeweils anderen gelegen.

So standen Aussagen gegen Aussagen. Staatsanwalt Johannes Tränkle hielt den Mann und seine Lebensgefährtin für glaubwürdiger. Die Anspielung, was mit dem Mann in früheren Jahren geschehen wäre, wertete er als Volksverhetzung. Er beantragte eine Geldstrafe in Höhe von 1250 Euro. Verteidiger Thomas Zieroth wollte einen Freispruch. Es gebe immerhin eine Entlastungszeugin. Einen Bezug zur nationalsozialistischen Vergangenheit könne er nicht erkennen. Die Gegenpartei nannte er „exzessive Verfechter einer strengen Vorgehensweise gegenüber Andersdenkenden.“

Aus den unterschiedlichen Zeugenaussagen zog Richter Klaus Volk den Schluss: „Der Vorwurf der Volksverhetzung hat sich nicht mit der notwendigen Sicherheit nachweisen lassen.“ Daher müsse der Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten gelten. Volk wies auf „auffällige Unterschiede zwischen Aussagen bei der Polizei und vor Gericht“ hin. Dann war da noch die Bekannte der Beschuldigten. Sie habe ausgesagt, dass die Aggression von dem Mann ausgegangen sei, so der Richter. Nur der Vollständigkeit sei zu erwähnen, dass es vor 40 Jahren kein Drittes Reich mehr gegeben habe. Damit sprach er die 56-Jährige frei. Gleichwohl sah sich der Richter abschließend verlasst, zu betonen, dass er Volksverhetzung als schweres Delikt sehe.

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