Neuhaus am Rennweg/Berlin Vorverurteilungen, Beleidigungen, Anfeindungen

Das Alten- und Pflegeheim in der Schönen Aussicht in Neuhaus ist Objekt polizeilicher Durchsuchungen. Nun sind die Beschäftigten Zielscheibe für gehässige Kommentare im Netz und auf der Straße. Foto: Ittig

Gegen fünf Frauen eines Neuhauser Pflegeheims wird wegen des Verdachts des Missbrauchs hilfloser Senioren ermittelt. Nun ist die gesamte Belegschaft des Heimes Anfeindungen ausgesetzt.

 
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Neuhaus am Rennweg/Berlin - Abstoßend und erschütternd, rufschädigend für den Berufsstand, die Einrichtung und die Stadt, unfassbar für die Angehörigen und unentschuldbar für diejenigen Männer und Frauen, die mutmaßlich Opfer wurden. An klaren Worten vieler Lokal- und Landespolitiker war kein Mangel, nachdem am 12. November die Polizei ihre Ermittlungen gegen fünf Beschäftigte des Angelikastiftes öffentlich machte. Wie berichtet, wird den Frauen - darunter eine Führungskraft - vorgeworfen, hilflose Heimbewohner sexuell missbraucht zu haben. Auf Nötigung, Körperverletzung und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen, die hin- und hergetauscht worden sein sollen, lauten die Stichworte. Zum Stand der Ermittlungen halten sich die Strafverfolgungsbehörden vorerst bedeckt. Ob es erste Geständnisse gab oder die Vorwürfe bestritten werden, dazu mag der Sprecher der Staatsanwaltschaft Meiningen unter Verweis aufs laufende Verfahren keine Erklärung abgeben. Es gelte, "das Ermittlungsergebnis nicht zu gefährden", so Jochen Grundler. Zudem dauern die Vernehmungen an. Vor Weihnachten sei nicht mit belastbaren Ergebnissen zu rechnen.

So lange zu warten, ist manchem nicht gegeben. Bekannt ist mittlerweile, dass in diversen Facebook-Chats kräftig ausgeteilt wird, Vorverurteilungen prägen den Ton. Nicht nur die unmittelbar Beschuldigten müssen das dieser Tage aushalten, oft genug werden in einem Aufwasch gleich alle Belegschaftsmitglieder des Angelikastifts massiv angefeindet und - vielfach anonym - mit Beleidigungen überzogen. Dass es nicht statthaft ist, vom mutmaßlichen Fehlverhalten Einzelner auf alle Mitarbeiter des "Angelikastifts" zu schließen, unterstreicht seitens des Arbeitgebers Melanie Hoffmeister. Die Sprecherin der Cura-Unternehmensgruppe mit Sitz in Berlin hatte schon am Tag nach Bekanntwerden der polizeilichen Durchsuchungsaktion im Pflegeheim und der Beschlagnahme von Datenträgern in mehreren Wohnhäusern mitgeteilt, allen Beschuldigten sei fristlos gekündigt worden. Gleichauf hatte die Thüringer Heimaufsichtsbehörde ein Beschäftigungsverbot erlassen.

Auf Nachfrage bestätigte Hoffmeister nun, dass es seit 14. November im Angelikastift eine neue Hausspitze gibt, bestehend aus einer Einrichtungs- und einer Pflegedienstleitung.

Überdies ist man bemüht, verunsicherten Familien Rede und Antwort zu stehen: "In einem Anschreiben an alle Angehörigen vergangene Woche haben wir zu persönlichen Gesprächen mit der Geschäftsführung und der neuen Einrichtungsleitung eingeladen. Dieser Einladung sind sehr viele Angehörige gefolgt, die Gespräche laufen bereits." In dem Papier an die Verwandten der Heimbewohner heißt es: "Wir alle sind zutiefst erschüttert. Tagtäglich arbeiten wir dafür, dass es den Menschen in unserer Obhut gut geht, dass es ihnen an nichts fehlt. Das ist unsere Mission, der Kern unseres Menschenbildes. Wir werden alles Erdenkliche tun, um sicherzustellen, dass die im Raum stehenden Vorwürfe rückhaltslos und vollumfänglich aufgeklärt werden."

Eine Piesauerin, deren Mutter im Angelikastift lebt, hat das Infogespräch mit dem neuen Neuhäuser Maternus-Management dieser Tage hinter sich gebracht. Groß war die Erleichterung der Frau, als ihr dabei einmal mehr bestätigt wurde, was sie schon vonseiten der Polizei wusste, nämlich dass ihre Mutter nicht zur Gruppe der vier Frauen bzw. einem Mann im Alter zwischen 55 und 86 Jahren zählt, an denen sich die fünf Pflegekräfte vergangen haben sollen.

Unvorstellbar nennt die Angehörige das, was vonseiten der Saalfelder Ermittler als erhärteter Verdacht kommuniziert wird: "Ein Verbrechen an kranken, hilfsbedürftigen oder dementen Menschen." Vor allem aber hat die Piesauerin mitbekommen, wie angefasst die neue Geschäftsführung und die Belegschaft ist: "In Neuhaus hat eine Hexenjagd begonnen. Das Halbwissen und Unwissen macht allen, die ehrlich und aufrichtig ihren Job machen, das Leben schwer. Böse Blicke, Sprüche, die nicht von Feingefühl und Intelligenz zeugen, und Bemerkungen, die beleidigend und unpassend sind, begleiten die untadeligen Mitarbeiter."

Ihr Entsetzen und ihre Traurigkeit, über die Meldungen in der Presse und in den sozialen Medien bezüglich der Vorfälle, die sich im Angelikastift ereignet haben sollen, übermittelte dieser Tage auch Conny Schabrich. Allerdings möchte Schabrich, die einst selbst zur Belegschaft des Heims zählte und zwischenzeitlich nach Mecklenburg umgezogen ist, sich verwahren gegen Mutmaßungen, wonach die Verfehlungen bereits 2006 ihren Lauf genommen hätten. "Diese Aussage ist absolut nicht haltbar. Das Angelikastift war und ist eine gute Einrichtung, mit Höhen und Tiefen, wie es sie wohl in jeder anderen Einrichtung auch gibt", sagt sie.

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