Reden statt Daddeln Zu viel Smartphone stört die Sprachentwicklung

Markus Brauer/

Sprachdefizite bei Kindern nehmen zu: Waus statt Maus und Eddy statt Teddy sind typische Fehler. Krankenkassen machen auf die alarmierende Entwicklung im Smartphone-Zeitalter aufmerksam. Chatten und Liken seien kein Ersatz für direkte Kommunikation.

 
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Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen nehmen zu. Ein Grund: Die exzessive Nutzung von Smartphones. Foto: dpa/Roland Weihrauch

Fehlende Wörter, falsche Satzstellungen, weniger Freude am Gespräch: Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern nehmen zu. Die Zahl von Heranwachsenden mit Defiziten sei in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, teilt die KKH Kaufmännische Krankenkasse in Hannover unter Berufung auf Daten ihrer Versicherten mit.

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„Das Haus bunt ist“, „Eddy“ statt „Teddy“: Viele Kinder ringen um Worte. Das Auslassen oder Tauschen von Lauten zähle ebenso dazu wie falscher Satzbau, ein nicht altersentsprechender Wortschatz, Stottern, Lispeln oder gar Verstummen. Immer mehr Kinder seien in logopädischer Therapie.

Zahl der Sprachstörungen nimmt zu

War den KKH-Daten zufolge 2012 bei jedem 18. Kind bundesweit eine Sprach- und Sprechstörung diagnostiziert worden, so betraf es 2022 fast jedes 12. Auch die Pandemie habe daran einen großen Anteil, weil die Sprachentwicklung bei etlichen Heranwachsenden aufgrund von geschlossenen Kitas und Schulen ins Stocken geraten sei.

Der Anteil der betroffenen KKH-Versicherten zwischen 6 und 18 Jahren stieg demnach von 2012 auf 2022 um rund 59 Prozent. Bundesweit seien fast neun Prozent der 6- bis 18-Jährigen betroffen - fast jeder zehnte Junge und rund jedes 15. Mädchen.

Am höchsten sei die Steigerungsrate im Zehn-Jahres-Vergleich bei den 15- bis 18-Jährigen mit fast 144 Prozent (Mädchen plus 160 Prozent, Jungen plus 135 Prozent).

Grundpfeiler kindlicher Entwicklung

„Sprache und Sprechen sind Grundpfeiler für die Entwicklung eines Kindes“, sagt Vijitha Sanjivkumar vom Kompetenzteam Medizin der KKH. „Denn Sprachkompetenz ist einer der Schlüssel, um Bedürfnisse, Gedanken und Gefühle mitzuteilen, sich die Welt zu erschließen, sie zu verstehen und sozial mitzugestalten.“

Zu den Auslösern der Defizite zählten unentdeckte Hörstörungen, genetische Veranlagung und anatomische Gründe wie ein fehlgebildeter Kiefer ebenso wie Probleme in der Familie oder Schicksalsschläge.

Ein weiterer Grund: „In vielen Familien wird zu wenig mit dem Nachwuchs kommuniziert, selbst bei den Mahlzeiten nicht“, betont Sanjivkumar. Vielfach gehe das auf das Konto intensiver Nutzung von Smartphone, PC und anderen digitalen Medien.

Rat an die Eltern

Sanjivkumar rät Eltern: „Lesen Sie je nach Alter Geschichten vor, fördern Sie das Sprechen über Handpuppen oder Rollenspiele, singen Sie gemeinsam, begleiten Sie Ihr Kind beim Medienkonsum und reden Sie über gemeinsame Erlebnisse, Gedanken und Gefühle.“

Zudem sollten Eltern sich frühzeitig von ihrem Kinderarzt beraten lassen, auch wenn Menschen ein unterschiedliches Entwicklungstempo haben und sich nicht hinter jeder Auffälligkeit eine tief greifende Störung verbirgt.

Info: Was ist Sprache?

Haus des Seins
Der Philosoph Martin Heidegger (1899-1976) schreibt über sie: „Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch.“ Bevor er darin wohnen kann, muss er dieses Haus allerdings erst bauen.

Ursprung der Kommunikation
Ob es eine Ursprache gegeben hat, die Quelle menschlicher Kommunikation war, ist umstritten. Forscher vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie haben herausgefunden, dass der Urmensch noch nicht über die genetischen Voraussetzungen zu eigenen Sprache verfügt hat. Der Schritt vom unverständlichen Grunzen und Raunen zum akustisch-zeichenhaft-symbolischem System der Kommunikation, das im Laufe der Zeit immer komplexer wurde, hat sich irgendwann vor 100 000 bis 200 000 vollzogen, erklären Paläogenetiker. Der Neandertaler hat demnach noch nicht über die Redseligkeit und Eloquenz des modernen Menschen verfügt.

Sinnhaftes und Überliefertes
Die Sprache ist neben der Schrift der wichtigste Träger von Sinnhaften und Überlieferten, der entscheidende Schlüssel zum Welt- und Selbstverständnis, zentrales Medium zwischenmenschlicher Verständigung. Ohne sie verstummt der Mensch buchstäblich, weil er seine Gedanken und Emotionen, sein Agieren und Reagieren nicht mitteilen kann. ,,Die Grenzen meiner Sprachen bedeuten die Grenzen meiner Welt“, sagt der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein (1889-1951). Sprache ist die Brücke zwischen geistigem Bewusstsein und äußerer Welt. Nur durch sie kann der Mensch sein Inneres nach Außen kehren und die äußere Welt nach innen holen. Das meint der Satz: „Die Sprache ist das Haus des Seins.“

Slang
Eine besondere Bedeutung im volkstümlichen Sprachgebrauch hat der Slang. Slang kommt vom gleichnamigen englischen Wort und meint eine Sondersprache oder einen Jargon (französisch für unverständliches Gemurmel). Der Slang-Wortschatz umfasst nicht standardisierte Wörter und Ausdrücke, die im Dialekt oder in einer Sprachvarietät – der besonderen Ausprägung einer Sprache – von einem bestimmten sozialen Milieu oder einer Subkultur verwendet werden.

Umgangssprache
Slang ist demnach eine Form der Umgangssprache. Der Begriff wurde erstmals in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für eine nachlässige Alltagssprache in bestimmten Milieus in London verwendet. Kennzeichnend für Slang ist, dass er sich ständig ändert, neue Wörter und Phrasen ergänzt und einige so häufig verwendet werden, das sie zum kulturellen Massengeschmack (Mainstream) werden. Der Export in andere Länder, Kulturkreise und Sprachen sorgt zudem für eine weltweite Verbreitung. Dem „Oxford Dictionary of English Grammar“ zufolge sind die Wörter auf spezielle Kontexte beschränkt oder bestimmten Berufen und Klassen eigen. Der britische Lexikograf und Slang-Experte Jonathan Green definiert Slang in seinem Buch „The Cassell Dictionary of Slang“ als „eine Gegensprache, die Sprache des Rebellen, des Geächteten, des Verachteten und des Randständigen“.