Mit neuen Datensätzen errechnete das Team auch die Anzahl der weltweit vom Aussterben bedrohten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten: Mit zwei Millionen ist die Zahl doppelt so hoch wie im jüngsten IPBES-Bericht aus dem Jahr 2019. Damals kam IPBES zu dem Ergebnis, dass eine Million der geschätzt acht Millionen Arten bedroht sind. Die Verdopplung auf zwei Millionen bedrohte Arten innerhalb weniger Jahre lasse sich mit neuen und genaueren Informationen begründen, erklärt Josef Settele, Mitautor des letzten IPBES-Berichtes: „Die Studien bauen letztlich aufeinander auf und bilden damit auch den Erkenntnisfortschritt ab. Im IPBES-Bericht 2019 war ja auch eine Datenlücke erwähnt worden, deren Schließung wir uns damit weiter annähern.“
Die Datenlage bleibe weiter ein Problem, schreiben die Studienautoren: „Unsere Analyse zeigt einige große Wissenslücken und entsprechenden Forschungsbedarf auf.“ Viele Arten, vor allem unter den Wirbellosen, sind noch gar nicht beschrieben worden. Eine genaue Beurteilung des Zustandes ist oft schwierig: Gibt es in einer Region nur noch sehr wenige Exemplare, sind diese in Feldstudien kaum auffindbar. Das bekräftigt auch Glaubrecht: „Wir wissen zu wenig über alle diese Arten, um ihr Verschwinden lange überhaupt bemerkt zu haben. Es gibt Arten, die wir schneller vernichten, als wir sie erforschen können.“
Ursachen für Artensterben sind vielfältig
Die Ursachen für das Artensterben sind vielfältig, als größte Bedrohung sieht das Team die intensive wirtschaftliche Nutzung von Landflächen und Meeren, die zum Verlust von Lebensräumen führt. „Zwar wurde die Feststellung, dass landwirtschaftliche Landnutzungsänderungen eine große Bedrohung darstellen, schon oft gemacht, aber unsere Analyse ist die bisher umfassendste und eindeutigste, die das Ausmaß dieser Bedrohung im kontinentalen Maßstab bestätigt“, so die Autoren. Auch die Übernutzung biologischer Ressourcen sowie durch den Klimawandel verursachte Extremwetterlagen gefährden die Artenvielfalt demnach massiv.
Doch die Forscher sehen auch Grund zur Hoffnung: Neuansiedlungen von Tierarten und ein besonderer Schutz können helfen, die Artenvielfalt zu erhalten. „Wichtig ist es, Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Arten einzuleiten. Diese zeigten bei Wirbeltieren ja schon viel Erfolg, was die Ausbreitung früher gefährdeter Arten, wie Schwarzstorch, Seeadler, Wanderfalke, Uhu und Fischotter beweist“, sagt Hochkirch. „Es ist wichtig, die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen rechtzeitig umzusetzen. Wir verfügen bereits über genügend Beweise, um zu handeln - was uns fehlt, sind Taten.“
Darauf drängt auch die Umweltstiftung WWF. Die Studie mache abermals deutlich, dass dringend mehr Unterstützung aus der Politik nötig sei und diese ihren Selbstverpflichtungen vom Weltnaturgipfel in Montreal vom Dezember 2022 nachkommen müsse. Die Staatengemeinschaft hatte dort unter anderem vereinbart, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen. Auch bei dem von Bundeskanzler Olaf Scholz gemachten Versprechen zu finanziellen Hilfen dürfe es nicht zum Wortbruch kommen, schreibt die Umweltstiftung. Scholz hatte auf der UN-Generalversammlung im September 2022 zugesagt, dass Deutschland ab 2025 jährlich 1,5 Milliarden Euro für den internationalen Biodiversitätsschutz bereitstellen werde.