Lebensmittelverschwendung Säen, ernten, wegwerfen?

Wolfgang Aull
Ungewiss, wohin unser Umgang mit Lebensmitteln noch führt: Brot für die Biogasanlage. Foto: Wolfgang Aull

Was passiert mit überlagerten Lebensmitteln im Landkreis Hassberge? Alleine sieben Tonnen Lebensmittel monatlich gehen an die Tafel. Doch vieles landet auch im Mülle – eine Tatsache, die nachdenklich stimmt.

 
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„Auf dem Weg vom Feld zum Teller,“ schreibt das Umweltbundesamt, „wird ein Drittel aller Lebensmittel verschwendet.“ Gleichzeitig, so die Meldung weiter, leiden weltweit viele Millionen Menschen unter Hunger, die Umwelt wird belastet: „Die Produktion und der Konsum von Lebensmitteln sind in Deutschland für bis zu 30 Prozent aller Umweltauswirkungen verantwortlich.“

Ganz der Rettung von Lebensmitteln hat sich Ute Ulbrich verschrieben, Mitgründerin und Leiterin der Tafel in Hassfurt. Sieben Tonnen Lebensmittel monatlich, so ihre Bilanz, setzen die Tafeln im Landkreis Hassberge um; sie seien keine Vollversorger für Bedürftige, aber im Rahmen einer Ergänzungsversorgung gut aufgestellt: an fünf Tagen in der Woche holten sie Ware ab, neun Stationen steuern sie pro Tour an, 210 Kunden könnten aktuell bedient werden. Die Anlieferungen seien „stets Überraschungspakete“. „Kein Tag“, so Ulbrich, „ist wie der andere. Manchmal erhalten wir überdurchschnittlich viel Brot, dann wieder fehle es vollständig.“ Die Gesundheit der Kundschaft liege ihr am Herzen: kein Alkohol, Nikoläuse und Osterhasen nur gering dosiert, und keinesfalls verdorbene Ware. Stete Mangelware sei leider Gemüse.

Mit dem offiziellen Mindesthaltbarkeitsdatum habe sie ihre Probleme, dies führe zu einem Spagat zwischen gesetzlich verordneter Vorsicht und Vernunft, da ein Überschreiten des angegebenen Zeitraumes bekanntermaßen nicht automatisch einen Verderb zur Folge hätte. „Ohne Biotonne geht es nicht“, sagt sie, aber dort lande nur ein geringer Bruchteil der angelieferten Ware. Nicht ohne Stolz verweist sie auf die 240 Liter Biotonne, die in der Regel bei zweiwöchiger Leerung ausreiche, und Restmüll falle so gut wie gar nicht an. Auf die Gesundheit der Mitarbeiter achte sie penibel: „Wenn in einem Netz Orangen angeschlagene Ware festgestellt wird, sortieren wir sorgfältig. Wenn eine Orange mit gesundheitlich schädlichen Schimmelpilzen versehen ist, wird vorsichtshalber alles entsorgt.“

Gut verzahnt mit der Tafel sieht sich Michael Meyer, Inhaber mehrerer Edeka - Lebensmittelmärkte in Hassfurt und Umgebung. „Die Milchprodukte werden bereits einige Tage vor Ablauf der Mindesthaltbarkeit aus den Regalen genommen, so erhält die Kundschaft stets frische Ware und die Tafel vertretbare Produkte.“ Meyer setzt auf Regionalität: „Je kürzer die Transportwege sind und je besser der Kontakt zu den Lieferanten ist, desto weniger droht die Gefahr des Warenverderbs.“ Der Anteil regionaler Produkte in seinen Märkten, schätzt er, liege bei circa 20 Prozent. Gerne würde er ihn erhöhen, doch dies habe seine Grenzen: „Wer ganzjährig Spargel möchte, muss außerhalb der Saison auf importierte Ware zurückgreifen.“

Hierzu äußert sich Stefanie Schmitt aus seiner Zentrale in Rottendorf: „Wir möchten das beste Nahrungsangebot bieten. Auch Kundschaft, die nicht nachhaltig kauft, wird bedient.“ Sie sieht die Endverbraucherinnen und Endverbraucher in der Verantwortung, deren Kaufverhalten steuere letztendlich das Warenangebot. Zur Vermeidung von überschüssigen Lebensmitteln setze ihr Unternehmen auf „moderne Warenwirtschaftssysteme“, mit dem Ziel, Warenflüsse zu optimieren und Überangebote zu vermeiden. Um den Reifeprozess zu verlangsamen, erhielten mache Produkte wie Avocados und Orangen eine Schutzhülle, zu erkennen an dem Aufdruck „Apeel“.

Meyer steht vor einem Wagen mit ausrangierter Ware: Zwischen zwei und drei Prozent seiner eingekauften Frischeprodukte, schätzt er, werden der Tafel zugeführt, im Restmüll lande weniger als ein Prozent. Stark verbeulte Dosen, zerrissene Kartons und gebrochene Gläser nennt er als Gründe für eine Entsorgung. Eine Biotonne bräuchte sein Betrieb nicht.

Bäckermeister Michael Oppel aus Untersteinbach schätzt, dass seine Verkaufsquote bei 90 Prozent liegt, für jede 10. Backware müsse demnach ein anderweitiger Weg gefunden werden. Am einfachsten zu bewerkstelligen sei dies in seinem Hauptladen, dort kann er, beispielsweise, Brötchen zu Semmelbrösel weiterverarbeiten. Gerne gibt er auch Ware an die Tafel, „doch nur in ortsnahen Filialen. Das Interesse sinke mit der Entfernung zur Abgabestelle, oder durch Überangebote, „weil in einer Ortschaft mehrere Märkte präsent sind und ihre Backware gemeinsam mit weiteren Lebensmitteln zur Abholung anbieten.“

Circa 80 Prozent der Retouren, schätzt er, seien zu entsorgen. Einer Abgabe als Futtermittel erscheint ihm sinnvoll, „trotz hoher amtlicher Auflagen.“ Dr. Simone Nowak, zuständig für den Verbraucherschutz im Landratsamt Haßberge: „Betriebe, die Lebensmittel als Futtermittel für Nutztiere abgeben, müssen bei der Regierung von Oberbayern registriert sein.“ Und sicherstellen, dass keine tierischen Bestandteile enthalten sind, hieße das für Bäckereien, sie müssten etwa Schinkenhörnchen aussortieren und anderweitig verwerten oder vernichten. „Ein dünnes Eis“, meint Oppel, „doch kein maßgebliches Hindernis.“ Seine Bäckerei kooperiere zusätzlich mit einem regionalen zertifizierten Entsorgungsfachbetrieb, der Firma Eichhorn Transport- und Entsorgungs-GmbH. Zudem verfüge sein Betrieb über eine Gewerbe - Biotonne, in erster Linie zur Entsorgung von unverkauften belegten Brötchen.

„In früheren Zeiten“, berichtet Geschäftsführer Manfred Eichhorn, „wurden die Lebensmittelreste der Kompostierungsanlage Mariaburghausen zugeführt.“ Ein Problem hierbei sei jedoch der große Anteil von Störstoffen, sprich Verpackungen, gewesen. Heute bediene er die Biogasanlage in Strullendorf. „Auch wenn es mein Geschäft ist und die Ware zumindest noch energetisch verwertet wird“, bedauert Eichhorn, stimme ihn sehr nachdenklich, „dass wir in einer derartigen Wegwerfgesellschaft leben.“ Den größten Marktanteil an dem Geschäft mit überlagerten Lebensmitteln, schätzt er, habe die auch im Landkreis Hassberge gut aufgestellte Firma Refood. Diese, so steht in Ihrem Netzauftritt, sammele in Deutschland jährlich circa 500 000 Tonnen Lebensmittelreste ein. „Aus diesem nachhaltigen Rohstoff entstehen in eigenen Biogasanlagen Strom und Wärme für derzeit knapp 50 000 Haushalte und ersetzen damit Energie aus Atomkraft und Steinkohle.“

Oppel schaut mit etwas Wehmut zurück: „Als ich in unseren Betrieb 1986 einstieg, wurde dort ausschließlich das Zwei-Kilogramm-Roggenmischbrot gebacken, an Samstagen das Brot vom Vortag verkauft.“ Das Sortiment sei seitdem auf zwanzig unterschiedliche Brotsorten angestiegen, und sollte möglichst vollständig bis zur letzten Minute bevorratet sein. „Dieser in der Gesellschaft verankerte Anspruch an Frische und Umfang ist bedenklich, kostet sehr viel Geld und Energie und es ist ungewiss, wohin dies noch führt.“

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