Webseite erinnert an die Coburger Juden Netzwerk gegen das Vergessen

Die Webseite über die Coburger Juden findet weltweit Aufmerksamkeit und verbindet die Nachkommen. Bei einer Videokonferenz tauschen sie sich aus und bekommen hoffnungsvolle Signale: Eine Gedenkstätte ist in Sicht.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Coburg - Tel Aviv, London, Vancouver, New York: An vielen Orten der Welt sitzen sie an diesem 7. Dezember vor ihrem Computer und denken mit sehr gemischten Gefühlen an Coburg. Hier liegen ihre Wurzeln, hier lebten ihre Großeltern, Urgroßeltern, Tanten, Onkels. Bis sie hier nicht mehr leben durften, weil sie Juden waren. Manche erkannten rechtzeitig die Gefahr und wanderten aus. Manchen gelang in letzter Minute die Flucht. Vielen jedoch nicht: 223 Angehörige der über 300 Menschen zählenden jüdischen Gemeinde fielen dem Nazi-Terror zum Opfer.

Lange Zeit war dieses Kapitel Stadtgeschichte ein Tabu, wurde das Schicksal der jüdischen Bürgerinnen und Bürger der ersten deutschen Nazi-Hochburg beschwiegen und verdrängt. Was das offizielle Coburg nicht wollte, nahmen 2004 die Bürger in die Hand: In der Ausstellung „Weil sie jüdisch waren“ dokumentierten das Evangelische Bildungswerk und die Initiative Stadtmuseum Coburg e. V. die Geschichte der jüdischen Gemeinde bis zu ihrer systematischen Zerstörung im Jahr 1944. Die Ausstellung bildete die Basis für die Webseite www.coburger-juden.de, die im Dezember 2020 bei einer internationalen Videokonferenz vorgestellt wurde.

Genau ein Jahr später haben sie sich nun wieder eingeloggt, die Nachfahren der Wertheimers und der Forchheimers, der Ehrlichs und der Gutmanns, die in aller Welt verstreut leben. Miteinander vernetzt hat sie Gaby Schuller, die seit Jahren ehrenamtlich und leidenschaftlich die Lebenswege der Coburger Juden erforscht, Kontakte zu den Nachkommen herstellt und pflegt.

Sie gehört zum fünfköpfigen Team der Webseite, das zum Videotreffen anlässlich des einjährigen Bestehens des Onlineauftritts eingeladen hat. Erfreuliche Neuigkeiten haben sie mitgebracht: Die Seite ist nicht nur gewachsen, sondern nun auch in englischer Sprache verfügbar und damit in aller Welt leichter verständlich. Die Übersetzung, an der neben dem Dolmetscherbüro Paraphrasis auch Dawn Shenton-Schenk und Nicholas Rollin mitwirkten, war ein Beitrag zum Gedenkjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, erläutert Rupert Appeltshauser, der neben Gaby Schuller für die Recherchen zuständig ist.

Die Webseite sei längst mehr als eine digitale Version der Ausstellung, betont er: „Sie ist ein Selbstläufer geworden“. Von Stefan Kornherr technisch betreut, bietet sie seit Kurzem auch die 80-minütige filmische Stadtführung „Jüdische Orte in Coburg“, eine englische Fassung ist geplant. Erweitert wurde das Kapitel „Lebenswege“ um weitere Biografien. Die wenigsten Namen sind heute noch so geläufig wie Sally Ehrlich – an den als einzigen jüdischen Bürger eine Straße erinnert, wie Gaby Schuller kritisch anmerkt.

Doch ein Fortschritt für die Erinnerungskultur in Coburg zeichnet sich ab: Die seit Langem geforderte Gedenkstätte im Herzen der Stadt rückt näher, das hat Appeltshauser von Vertretern der Stadt erfahren. Bislang gibt es nur einen Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof am Glockenberg, der kaum Beachtung findet. Über einen zentralen Ort wird noch diskutiert: Das Judentor ist im Gespräch, doch auch die St. Nikolauskapelle, die in ihrer über 500-jährigen Geschichte sowohl als Synagoge wie Kirche verschiedener christlicher Konfessionen genutzt wurde. Sie wäre mithin ideal, liegt jedoch entlegen am Südende des Rosengartens.

„Ein Memorial gehört in die City“, unterstreicht Jeff Kraus, der sich in diesem Jahr erneut an die Stadt gewendet hat. Unvergessen ist ihm ein Stadtempfang 1988, bei dem der damalige Bürgermeister Rolf Forkel den jüdischen Besuchern mit spürbarem Desinteresse und ohne jede historische Sensibilität begegnet war. „Die Dinge haben sich geändert“, versichert Appeltshauser, der Anfang 2022 eine Standortentscheidung der Stadt erwartet: „Sie tun ihr Bestes!“

Der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus dienen auch die Stolpersteine, von denen sich mittlerweile rund 120 vor Coburger Gebäuden finden. Im kommenden Jahr will der Künstler Gunter Demnig nach Gaby Schullers Worten zehn weitere in der Mohrenstraße und Lossaustraße verlegen.

Sie selbst wird nicht müde, die Geschichten hinter den Namen zu ergründen und ermutigt deshalb alle Nachfahren, Informationen und Materialien für das Projekt zur Verfügung zu stellen: „Jeder Beitrag ist willkommen. Es gibt noch so viel zu fragen und zu erzählen!“ Wie stark das Interesse daran ist, zeigt sich auch bei diesem Online-Treffen, das künftig mehrfach im Jahr zum Austausch einladen soll. Spürbar groß ist die Dankbarkeit für das Engagement, das Pam Wertheimer auf den Punkt bringt, wenn sie Gaby Schuller und dem Team für ihre Herzlichkeit und Leidenschaft dankt. Und die Nichte des „Elvis-Fotografen“ Alfred Wertheimer, der kurz vor seinem Tod 2014 seine Heimatstadt Coburg besucht hat, verspricht, dass es nicht beim virtuellen Kontakt bleiben soll: „Ich will wiederkommen!“.

Autor

Bilder